01.50 Uhr – die Nacht vor dem ersten Frühdienst der Woche. Ich werde wie immer wach. Mein Körper ist im Nachtdienstrhythmus und findet, um diese Zeit könnte man arbeiten oder etwas essen. Schlafen jedenfalls nicht. Entgegen aller Tipps zum gesunden Schlafen vertrödele ich Zeit am Handy und wälze mich hin und her. Schlechte Laune macht mir das jedenfalls nicht mehr. Dazu war zu absehbar, dass ich auch heute nicht durch schliefe.
02.10 Uhr – ich höre den Hund im Flur ranscheln und leise irgendwas umstoßen. Da ich eh mal muss, beschließe ich nachzusehen, was er anstellt.
02.12 Uhr – der Hund ist nicht zu finden. Vermutlich war das Geräusch eben die Nachbarin, die nach dem Dienst vorsichtig meine Wohnungstür schloss und den Hausmeister mit auf ihre letzte Gassirunde nahm. Meist arbeitet sie bis 02.00 Uhr. Dann geht sie mit dem Fifi (der mit ihr Nachtdienst hatte) noch eine Runde um den Block und nimmt Ivo mit. Voll nett. Ich gehe auch noch mal entsorgen, dann lege ich mich wieder hin.
02.18 Uhr – Die gehen aber heute nacht lange Gassi. Da ich eh wach bin stehe ich noch einmal auf und schleiche ans Wohnzimmerfenster, um nachzusehen, ob sie draußen irgendwo auszumachen sind. Hätten Tine und Schimi nicht noch eine Stunde Dienst? Und war da wieder ein Rascheln im Flur? Da ich Ivo zutraue, im Halbschlaf hinters Sofa oder die Kellertreppe runter gepurzelt zu sein, suche ich die Wohnung ab und frage Tine, ob sie an seinem Verschwinden beteiligt ist. Keine Antwort.
02.20 Uhr – Man kann ja nie so doof denken, wie es kommt… ich schleiche zur hinteren Haustür und öffne sie einen Spalt weit. Alter, ist das kalt draußen. Halblaut rufe ich nach dem kleinen Griechen. Niemand antwortet. Kein Hund zu sehen. Ist er doch Gassi? Oder warte: habe ich ihn zu meinen Eltern gebracht?
02.21 Uhr – Ich war jetzt vorne an der Tür, ich war im Keller und in allen Räumen, in denen ich den verschollenen Hausmeister versehentlich hätte einsperren können. Für gewöhnlich säße er, wenn ich ihn aus einem versehentlichen Einschließen befreie, direkt hinter der betreffenden Tür und wedelte mich schweigend an. Passiert uns schon mal, wie ihr den Erfahrungswerten entnehmt. Jetzt allerdings wedelt er nirgends. Wenn wir im Dienst bei einfachen Fahndungen 30 Minuten nach Auslösezeit keine Erfolg versprechenden Hinweise haben, gehen wir langsam auf „Fahndung im Rahmen der Streife“ über. In diesem speziellen Vermisstenfall hielte ich das für unfair. Langsam schwant mir nämlich, dass ich selbst an seinem Verschwinden nicht ganz unbeteiligt bin. Weglauftendenzen (bescheuertes Wort, so nennt man das, wenn tüddelige alte Leute ziellos auf Wanderschaft gehen) hat der Puschel noch nie gehabt. Er weiß, dass es Zuhause am schönsten ist. Zumal er nachts eh die Nachbarschaft meidet, weil er überall Gefahren wittert, die da nicht sind. Wo ist also der kleine Hund?
02.22 Uhr – ich bin mir sicher, mir die verdächtigen Geräusche nicht eingebildet zu haben und beschließe, die Nahbereichsfahndung auf den Garten auszuweiten. Gleichzeitig rekonstruiere ich den Verlauf des Abends. Mein Handy weiß, dass ich die smarte Haustür um 22.49 Uhr zuletzt geöffnet habe. Ich weiß, dass ich danach eine Wärmflasche gegen die Eisfüße gemacht und mich ins Bad begeben habe. Dann, so sagt es die App, habe ich die Tür um 22.58 Uhr wieder geschlossen. Normalerweise liegt der Hund bis dahin nach kurzem Pipistop im Garten wieder wedelnd auf dem Wohnzimmerteppich und beobachtet, wie ich ins Schlafzimmer verschwinde. Nicht, dass ihm bei der letzten Fußstreife durch die Gartengestrüppe etwas Verdächtiges aufgefallen, er einer wichtigen Spur gefolgt und dann erst nach Schließen der Tür mit seinem Job fertig gewesen ist. Wenn mein Hund nämlich eine ungewöhnliche Eigenschaft hat, dann ist es die, dass er sich über Missstände nicht laut beklagt. Er würde nie kläffend oder jaulend vor oder hinter einer verschlossenen Tür sitzen. Er würde schweigend hinnehmen, dass man ihn vergessen hat. Anders ist auch nicht zu erklären wie er sowohl bei mir als auch bei meinen Eltern bereits einmal zehn Minuten auf der „stillen Treppe“ im Keller saß, im stockfinstern, und wohl über seine Missetaten nachdachte anstatt mal bescheid zu geben, dass man ihn am sozialen Leben bitte wieder teilnehmen ließe.
Noch immer 02.22 Uhr – Ich gehe barfuß mit einer Taschenlampe auf die Terrasse. Als ich gerade um die Ecke in Richtung Tines Terrasse leuchte, rumpelt es gewaltig vor meinem Schlafzimmerfenster. Dann kommt mir ein äußerst freundlich wedelnder Hund entgegen. Vor meinem Fenster befindet sich der Kellerabgang. Außen ist hier auf der Terrasse direkt an der Fensterbank meines Schlafzimmerfensters in Brusthöhe ein Mauervorsprung von etwa einem Quadratmeter, über den man an mein Schlafzimmerfenster gelangen kann. Schlagartig wird mir klar, dass das Rascheln vorhin nicht aus dem Flur, sondern von vor dem Fenster gekommen sein wird. Meine armer Mitbewohner wird also eine sehr lange Weile auf dem Mauervorsprung gesessen, mich beim Schlafen beobachtet und schweigend über seine Missetaten nachgedacht haben. So viele Hundesünden, über die man ganze drei Stunden hätte grübeln können, wollen mir auch bei längerem Überlegen nicht einfallen.
02.23 Uhr – ich nehme per WhatsApp an Tine die Fahndung zurück, dann gehen der Hund und ich an der Leckerchenschublade vorbei auf den Wohnzimmerteppich. Bei reichlich Keksen feiern wir unser Wiedersehen. Irgendwie schade, dass man sich bei Tieren nicht entschuldigen kann – umso schöner, dass sie nicht nachtragend sind. Andererseits sind dem Fifi vielleicht auch ausreichend kleine und große Verfehlungen eingefallen, für drei Stunden „stiller Mauervorsprung“?! Ich kriege ja auch nicht jede kleine Sünde mit.
02.30 Uhr – der Hund zieht sich mit dem Qietsche- SchLama auf seine Decke zurück. Ich komme mir vor wie ein Fall für den Tierschutz und hoffe, dass er es mir nicht nachträgt. Da ich noch immer hellwach bin klappe ich das iPad auf und schreibe euch diesen Text.
03.15 Uhr – ein paar Schokokekse und dieses sehr lange Posting später gehe ich wieder schlafen. In 90 Minuten bimmelt der Wecker. Als ich ins Schlafzimmer verschwinde werfe ich dem Hund noch einen Blick zu. Er liegt wie immer auf dem Teppich und beobachtet mich auf dem Weg ins Bett. Ich bemerke, dass ich von der ganzen Aktion kalte Füße bekommen habe. Dann erwische ich mich bei dem Gedanken, den Hund wie immer vor dem Schlafengehen noch mal Pipi machen zu schicken, während ich mir eine Wärmflasche mache. Vielleicht ist das heute aber auch gar nicht nötig…
Gute Nacht!
