Ein Januarmorgen zwischen Spät- und Nachtdienst. Ich habe lange geschlafen. Jetzt geht der erste Griff, wie bei vielen von uns vermutlich, zum Handy. Es gibt Nachrichten in der Kollegen- WhatsApp- Gruppe. Mal anklicken. Der Chef schickt einen Link. Dazu den Text: „…es passiert auch in kleinen Behörden. Deshalb ist das alltägliche „Passt auf euch auf!“ kein lauer Spruch.“ Dann endet seine Nachricht mit „Schöne Scheiße!“
Ich klicke den Link an. Der WDR berichtet, im Landkreis Kusel seien auf einer Landstraße bei Ulmet in der Polizeiinspektion Kusel in der Nacht ein 29 Jahre alter Kollege und seine 24 Jahre alte Streifenpartnerin bei einer Verkehrskontrolle erschossen worden.
Ich bin schlagartig wach. Suche nach Informationen, um die Nachricht einzuordnen. Erst im Laufe des Tages wird klar, dass die Beiden mit einem Zivilfahrzeug unterwegs waren und ihrer Wache gemeldet hatten, dass sie totes Wild in einem Fahrzeug gefunden hatten. Dann hatten sie noch melden können, beschossen zu werden.
Zwei Kollegen, in ihren 20ern. Im Nachtdienst. Erschossen. Ich kann das kaum begreifen. Obwohl mir natürlich klar ist, dass auch das passieren kann. Dass es keine ungefährlichen Einsätze gibt. Dass es gerade die vermeintlichen Routinefälle sind, die unsere volle Konzentration erfordern. Und dass auch die Besten überfallen oder in Hinterhalte gelockt werden können. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Wird es nie geben.
Den Tag über verfolge ich die Nachrichten. Aus dem erst unklaren Fahndungsaufruf wird eine konkrete Öffentlichkeitsfahndung mit dem Bild eines Verdächtigen. Ein junger Mann, abstehende Ohren, Dreitagebart. Ich studiere das Foto, weigere mich aber, der Person darauf meine Aufmerksamkeit zu schenken. Wenige Stunden später sind er und ein Mittäter gefasst.
Die Zeit zwischen Abendessen und Nachtdienst verbringe ich auf dem Sofa. Wie so oft ergeben sich kurzfristige Änderungen an unserer Vorplanung. Wieder erreicht mich eine Nachricht vom Chef. Ich vertrete ihn heute Nacht. Er möchte wissen, was ich da ändere. Nichts Großes. Das ist schnell besprochen.
Wie immer, wenn wir schreiben und er frei hat, schickt er gute Wünsche für den Dienst zum Abschied. Heute schreibt er, dass wir besonders gut auf uns aufpassen sollen.
Ich verspreche es ihm. Und habe plötzlich einen Klos im Hals.
Ulmet ist 200km weit weg. Auch dort, in der PI Kusel, werden heute wieder Kolleginnen und Kollegen zum Nachtdienst aufbrechen. Wie gestern und vorgestern und in den letzten Jahrzehnten. Auch dort werden heute Freunde und Familien den Kollegen das Versprechen abnehmen, besonders gut auf sich aufzupassen.
Zwei Kollegen werden fehlen. Sie werden eine Lücke hinterlassen. Und es wird ihre Kollegen sehr viel Kraft kosten, diese Lücke zu schließen. Ich wünsche ihnen, dass es irgendwann gelingt. Dass sie zusammenrücken, Halt ineinander finden. Und wirklich gut aufeinander aufpassen. Heute. Und in Zukunft.
Wenn ich gleich meine Tasche nehme und zur Wache gehe werde ich an Kusel denken. An die Getöteten, ihre Familien und Freunde. Und eben an die Kollegen, die direkt oder indirekt an diesem Einsatz beteiligt waren und die, da bin ich mir sicher, bei all dem Verlust, der Trauer und Wut ihr allerbestes geben und die Lücke in ihren Reihen schließen werden.
Und Kusel, ein Dorf in der Westpfalz, von dem ich bis heute noch nie gehört hatte, wird mir sehr nah vorkommen heute Nacht.
