80 Millionen Bundestrainer

Wie man uns sieht 

Wir haben einen Beruf, der zu großen Teilen in der Öffentlichkeit stattfindet, sage ich den Anwärtern gern und spreche mit ihnen über unsere Außenwirkung. Unsere Arbeit wird wahrgenommen, und zurecht auch immer wieder öffentlich diskutiert. 

Denn die Regeln, über die wir wachen, haben wir uns als Bürger indirekt über die Politik selbst gegeben. Die Ausstattung, mit der wir einschreiten, haben wir uns indirekt selbst gekauft und unsere konkreten Aufträge, also die Einsätze, in denen wir einschreiten, kommen zum großten Teil unmittelbar von den Menschen, die in unserem Streifenbezirk leben oder hier zum Arbeiten her kommen.

Wie diese Menschen uns sehen, haben wir alle gemeinsam selbst in der Hand. Fahren wir mit dem Streifenwagen und geschlossenen Scheiben am Samstag eine Runde durch die City? Am besten noch der Beifahrer mit verspiegelter Brille und am Handy daddelnd? Oder steigen wir aus und schlendern durch die Stadt? Sind wir Ansprechpartner für “unsere” Bürger? Oder eher Sicherheitspersonal, das kommt, regelt und wieder fährt?

Fest steht, bei allem, was wir da draußen tun, werden wir beobachtet. Unsere leuchtenden Autos, das Blaulicht, die Uniform ziehen sofort die Blicke der Menschen an. Das ist so gewollt. Sonst wären die Autos grau und die Kleidung zivil. Wir wollen und müssen gesehen werden. Genauso wie unsere Arbeit. 

Transparent und rustikal

Richtig spannend wird es, sobald es eben nicht mehr nur beobachtet wird, ob das Ticket fürs Falschparken nun wirklich sein musste und oder die Kollegen die Mütze getragen haben, sondern wenn es um den Kern unserer Arbeit geht. Denn wir entscheiden über mehr als über Verwarngelder und haben mehr in der Hand als nur einen Kugelschreiber. Und erst recht wenn es ernst wird, wenn die Kacke richtig am Dampfen ist, wenn wir innerhalb von Sekunden über den Einsatz von Schlagstock, Pfefferspray oder Waffe entscheiden, müssen wir uns auf die Finger schauen lassen. Unser Einschreiten muss transparent und nachvollziehbar sein.

Wie rustikal und martialisch wir dabei auftreten, welche Zwangsmittel man uns an die Uniform steckt, ist seit Jahren ein gesellschaftlich diskutiertes Thema. Als ich vor knapp 20 Jahren das erste Mal einen Streifenwagen bestieg, klemmten an meinem Gürtel eine Handfesseltasche und ein Ersatzmagazin mit acht Schuss Munition. Heute habe ich insgesamt 30 Schuss Munition bei mir und trage neben einem Tourniquet und einem Wundschnellverband, einer Bodycam und einer Lampe an meiner Außentragehülle einen Schlagstock und bald auch vermutlich einen Taser.

In meiner Einsatztasche steckt immer greifbar eine Sturmhaube, für unter den ballistischen Helm, und eine Taschenlampe, deren Leuchtkraft ich vor 20 Jahren noch für einen landenden Helikopter gehalten hätte.

Taser und Taschendiebstahlsprävention

Die Polizei verändert sich. Sie muss sich verändern. Wir müssen technisch und taktisch am Puls der Zeit und auf all die Eventualitäten vorbereitet sein, in die unsere Gesellschaft in den letzten 20 Jahren geraten ist. Völlig zurecht darf man von uns erwarten, dass wir für Amokläufe genauso trainieren wir für Attentate. Und dass wir dabei noch immer die sind, die man auf Fußstreife in der Innenstadt gern anspricht. 

Irgendwo dazwischen also, zwischen Taser und Taschendiebstahlsprävention, zwischen ballistischen Helm und Schulwegsicherung, irgendwo dort findet ihr unsere Jobbeschreibung.

Umfragen bescheinigen uns, dass unser Beruf bei Schulabgängern nach wie vor beliebt und unsere Arbeit generell von den Menschen angesehen ist und ich bin, wenn ich im täglichen Leben mit den Bürgern unserer Dörfer ins Gespräch komme, überzeugt, dass wir auf großen Rückhalt der Menschen zählen können.

80 Millionen Polizeiwissenschaftler 

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es Viele gibt, die wenig von uns halten. “Du hast dir einen Beruf gesucht, in dem du naturgemäß von Kriminellen umgeben bist. Jetzt tu’ nicht überrascht, wenn die sich auch wie Kriminelle benehmen.” beendete mal ein Bekannter eine meiner Nörgeleien über Menschen, die sich uns gegenüber respektlos verhalten hatten. Und ich gebe zu, damit hatte er einen Punkt.

Wir schützen auch das Recht, gegen uns zu sein, druckte die Berliner Polizei in einer Personalwerbekampagne vor einigen Jahren mal riesig auf Plakate, die überall im Stadtbild und online zu sehen waren. Ein Spruch, an den ich seitdem immer wieder denken muss. Das Plakat zeigte damals eine Demo und Hundertschaftskräfte, aber ich finde den Spruch auch oft treffend, wenn ich auf Social Media durch die Kommentarspalten scrolle.

Sobald nämlich dort über unsere Arbeit berichtet wird, im Land der 80 Millionen Bundestrainer, die neuerdings auch Virologen und Klimaforscher sind, findet sich ein zynischer, lauthals kläffender, pöbelnder Mob zusammen, um über uns zu urteilen. Abseits jeder Refektion, fernab aller Manieren, wird dort geschimpft, gepoltert und bessergwusst, dass es manchmal nur schwer auszuhalten ist. 

Dabei muss es gar nicht um mich und meine unmittelbaren Kollegen gehen. Ist ein Video von einem Einsatz, sagen wir, einer zwangsweise durcheführten Festnahme 600km Entfernung in den Twitter- Trends, will irgendwas in mir wissen, was die Menschen darüber denken. 

Wie man uns sieht, dass man unsere Arbeit versteht und die Zwänge und Notwendigkeiten begreift, ist mir eben ein Anliegen.

Scrolle ich also an so einem Festnahmevideo vorbei, stellt sich schnell das Gefühl ein, jeder, der mal eine halbe Folge Blaulichtreport gesehen hat fühlt sich berufen, seinen Senf zu unserer Arbeitsweise dazuzugeben. Und während ich so scrolle, vorbei an den heißen Tipps, wie man wo hinzuschießen oder wann man welches Einsatzmittel anzuwenden habe, erwische ich mich dabei, dass der Zeigefinger mit jedem weltfremden Kommentar lockerer sitzt, über dem “Antworten”- Button. Den Drang, mich zu rechtfertigen, Taktik und Technik zu erklären und dem einen oder anderen Maulaffen einen originellen Spruch zurückzuschreiben, kann ich schwer leugnen. Natürlich mache ich das nicht, machen wir das alle nicht. 

Besser ertragen kann ich Onlinehäme erst, seit vor einigen Jahren mal ein Bekannter, dessen Job von Natur aus vor Publikum oder Hörerschaft stattfindet, mir den Rat gab, mich bei jedem dieser Socialmedia- Experten zu fragen: “Kann er deine Arbeit beurteilen? Kennt er sich gut genug aus? Steht ihm eine Bewertung zu?” In 99,9 Prozent der Fälle kann ich all das natürlich mit einem klaren: “Nein!” beantworten und weiter scrollen, ohne einen wertvollen Beitrag zu verpassen.

Trotzdem weiß ich: sollte jemals einer meiner, einer unserer Einsätze vor dem Facebookkommentarspaltengericht verhandelt werden, muss ich den Stecker ziehen, mein Passwort in den Fluss werfen oder meinen Account löschen. Denn die Gefahr, sich von der schieren Menge an Pöblern doch beeindrucken zu lassen, ist größer, als ich es mir eingestehe.

Ein großes Versprechen

Gerade heute hat es wieder eine solche Meldung über unsere Arbeit gegeben, über die sich nun auf Facebook, Twitter und den einschlägigen Newsseiten hämische, zynische und an der Grenze zur Strafbarkeit kratzende Kommentare stapeln, vielfach schon im Drüberscrollen leicht erkennbar an einer ausufernden Menge an Ausrufezeichen und Emojiwirrwarr.

Der Einsatz aus dem Mai 2020 hat völlig zurecht großes Medienintersse nach sich gezogen. Ich verlinke euch hier den Bericht aus der Lokalzeit Dortmund zum Urteil gegen die Kolleginnen.

Zurecht haben Menschen Meinungen zu dem Verhalten der Kolleginnen. Unsere Arbeit wird gesehen. Dass hier zwei Kolleginnen im Verdacht stehen, Kollegen im Stich gelassen zu haben, kann zu Verunsicherung führen. An unserem Versprechen, dort einzuschreiten, wo alle anderen weglaufen, müssen wir uns messen lassen. Mut und Entschlossenheit müssen uns auszeichnen. Der gleiche Beamte, der gerade noch dem Schulkind über den Zebrastreifen hilft, muss im nächsten Einsatz bereit sein, seine Gesundheit für anderer Menschen Sicherheit zu riskieren. Das zu verlangen ist in einem Onlinekommentar leicht. Das umzusetzen ist wohl eine der größten Prüfungen, vor die unser Beruf uns stellen kann.

Interessant finde ich, dass ich nicht nur in diesem Fall bemerke, dass je mehr ein Mensch über Einsätze wie diesen weiß, umso weniger erlaubt er sich ein Urteil über das Verhalten der Kolleginnen. 

Ich persönlich möchte das Verhalten der Kolleginnen nicht be- und schon gar nicht verurteilen müssen. Würde ich mich bei einer Falschparker- oder Festnahmevideo- Diskussion noch locker auf dünnes Argumentationseis wagen, so spare ich mir hier jeden schlauschwätzenden Kommentar. Denn zum Glück habe ich nicht erlebt, was die Kolleginnen und Kollegen erleben mussten. Deshalb darf ich mir hier, wo es um pures Überleben und Funktionieren ging, kein Urteil erlauben. Ob der Richterspruch zu hart, die Konsequenzen dessen zu weitreichend oder das Verhalten noch härter zu bestrafen ist – ganz ehrlich: ich weiß es nicht. Ich weiß nur so viel: menschlich tun sie mir leid. 

Den betroffenen Kolleginnen wünsche ich, dass sie Menschen an ihrer Seite haben, die sie von der unqualifizierten öffentlichen Kommentarspaltendiskussion abschirmen und auf sie aufpassen.

Ich wünsche ihnen, dass sie Vertraute um sich haben, die ihnen helfen, die Maulaffen von ihnen weg zu halten und nur solche Kritik durchzulassen, die ihnen ermöglicht, ihr Gesicht zu wahren und die sie besser machen kann.

Und in diesem speziellen Fall wünsche ich ihnen, bei allem, was über sie hineinbricht, bei allen rechtlichen und disziplinarischen Folgen, dass sie Hoffnung haben mögen, für ihre Zukunft, und dass sich niemand anmaßt, über sie herzuziehen, der nicht in ihrer Situation gewesen ist. 

Ich hoffe einfach, ich habe mich auf einen solchen Super-GAU nach bestem Wissen und Gewissen vorbereitet und bin in der Lage, der Situation zu trotzen und eine solche Prüfung zu bestehen. Wissen kann ich es nicht.

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