Als am nächsten Morgen der Hund ankündigt, dass der Mann, der gestern seinen liebsten Sofa-Liegeplatz okkupierte nun schon wieder die Wohnung betritt, haben wir entschieden, den Gasometer Oberhausen zu besuchen. Die letzten Tage waren nicht zu heiß, als dass sich die Riesendose schon zur größten Sauna des Reviers erhitzt hätte. Außerdem sind Ferien und es ist Montag. Gute Chancen, dass die Ausstellung nicht allzu voll werden sollte.
Als wir den Brummi auf dem Schotterparkplatz im Schatten eines Reisbusses abstellen scheint der Tourist noch wenig beeindruckt von der 120m hohen Blechbüchse mit dem riesigen Plakat. Erst als wir unmittelbar an der Fassade stehen geht sein Blick dann doch nach oben. Ja, doch, ziemlich groß, das Teil. Ich nicke zustimmend und denke: „Und von innen erst…“.
Durch die schwere Tür betreten wir das Erdgeschoss und stehen sofort mitten in der Fotoausstellung. Wir beginnen unseren Rundgang und ich habe den Eindruck, keine ganz falsche Entscheidung getroffen zu haben. Bisher war ich nicht sicher, ob sich der hier her geschleppte Tourist nicht nur wie ein hier her geschleppter Tourist vorkommt und eigentlich nur keine Lust hatte, die Energie aufzuwenden mir diesen Ausflug auszureden.
Wir schlendern ein paar Runden zwischen den riesigen Fotografien umher, wechseln in die erste Etage, sehen Globen und Fotos und ein Video über die Emscherrenaturierung, ertragen die Ecke, in der Jacko in Dauerschliefe „We are the World“ quäkt und stehen schließlich am Fuße der Treppe zum zweiten Stock.
Ich mag es ja, Menschen zu beobachten, die Neues entdecken. Hier, am Fuße dieser unscheinbaren Treppe, geht das besonders gut. Thom bleibt kurz stehen, schaut von unten gegen den riesigen Globus, der sich über uns auftut und staunt einen Moment.
Dann betrachten wir den Planeten aus allen Richtungen. Den Versuch, diesen fast 100 Meter hohen Raum, die Fahrt mit dem Fahrstuhl und die ganz eigene Gasometer- Atmosphäre zu beschreiben, unternehme ich gar nicht erst. Groß ist es jedenfalls, und ruhig. Und ja, warm ist es auch.
Nach einem Rundgang um den Planeten steigen wir in den Aufzug zum Dach und gehen über die außen liegenden Treppen bis ganz nach oben. Um uns herum macht das Ruhrgebiet seine Ruhrgebietssachen. Auf dem Kanal schippern die Schiffchen, auf der A42 säumen sich die Lkw zu einer endlose bunten Kette auf. Zwischen dem vielen Grün schwitzen die Städte und da hinten, am Horizont, überragen die Halden die sonst flache Gegend.
Ich mag diesen Blick auf meine Heimat, dieses kaum überschaubare Städteknäuel voller Menschen, die Straßen, die wenigen Fördertürme, die der Strukturwandel übriggelassen hat. Thom allerdings zeigt leise seufzend auf die Autobahn direkt vor uns und findet, dass das doch alles auch irgendwie anders gehen müsste. Ohne die vielen Lkw. Tja, denke ich, irgendwie bestimmt. Aber ob wir beide das noch erleben? Ich bin skeptisch. Dass wir ohne die A42 gerade gar nicht hier wären lässt er nicht gelten.
Bevor wir hier oben aber endgültig die Verkehrswende beschließen steigen wir die Treppen zurück zum Aufzug, fahren an unserem Heimatplaneten vorbei in die dritte Etage und verlassen Oberhausen noch rechtzeitig vor der Abschafftung der A42, nicht ohne uns vorher eine kalte Flasche Wasser aus dem Brummikühlschrank zu holen. Glücklich ist, wer bei 30°C einen Kühlschrank durch die Gegend fährt.
In meiner Faszination für alte Stahlkonstruktionen beschließe ich, trotz des Wetters noch den Landschaftspark Duisburg Nord anzusteuern. Wenn man schon mal so nah dran ist könnte man doch dort eine kleine Runde spazieren gehen, Industriekultur aufsaugen, Revierfeeling feelen. Inzwischen allerdings ballert uns die Sonne ziemlich auf die Runkel und beschert uns ein etwas zu realistisches Hüttenwerkambiente. Wir schleichen, stets schattige Wege suchend, einmal um den Hochofen, lassen aber die gesamte übrige Außenanlagen links liegen. So chic es hier auch sein mag, einen Sonnenstich müssen wir uns als Andenken an diesen Ausflug nicht zwingend mitbringen. Den Aufstieg auf den Hochofen wage ich nicht einmal zum Thema zu machen.
Selbst die eigentlich jetzt zwingend fällige Portion Pommes spezial vom Pommesbauer überspringen wir und entscheiden uns der Hitze angemessen auf dem Rückweg für Sushi. Toter Fisch auf kaltem Reis mit Algen wird unsere Mägen weit weniger Energie kosten als Currypommes. Und: Energie, die haben wir heute echt nicht mehr zu vergeuden.
Zuhause fallen wir erschöpft in die Sitzkissen, die wir zuvor mit letzter Kraft in die schattigen Ecken der Terrasse geschlörrt haben, und halten Siesta.
Ich weiß nicht wie das bei euch ist, aber ich erkenne den tollsten Besuch daran, wie leicht es ihm fällt, sich bei mir wie Zuhause zu benehmen. Wer sich zum Beispiel ähnlich einer zerbrechlichen Porzellanpuppe auf mein Sofa dekoriert hat es bei mir im Besucher-Game deutlich schwerer als jemand, der sich mit Schmackes in die Sofakissen wirft, den Hund freundlich aber bestimmt bei Seite kooperiert und die Füße auf die Rückenlehne fläzt. Ähnlich verhält es sich nun also auf der Terrasse. Ich habe nicht den Eindruck, mit Tablett und Kittelschürze Snacks und Getränke anbieten zu müssen, denn Thom hat sich selbst eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank geholt, einen Kaffe gemacht und sich bäuchlings ins Sitzkissen fallen lassen. Und genau so hatte ich mir das erhofft. Nicht, weil ich nicht gern Besuch Getränke darreiche, sondern weil ich merke dass sich hier jemand zumindest halbwegs wie Zuhaus zu fühlen scheint. Und mehr kann ein Gastgeber doch kaum erreichen.
Am Abend erquengele ich mir mühevoll eine Gassirunde um die kleinstmögliche Talsperre der Umgebung – denn ob wir wollen oder nicht, der Hund muss noch raus, bevor auch dieser Tag ausgesprochen unspektakulär auf dem Sofa endet.








