Maastricht – Eine Stadt und ihr Geiger!

„Ist das The Hoff?“ Tina bleibt stehen. Eigentlich sind wir wegen der Basilika in diese Straße abgebogen.  Jetzt verharren wir vor dem großflächig bedruckten Sichtschutz. Links darauf ein Mann, der tatsächlich eine schmeichelhaft gephotoshopte Version des inzwischen leicht verbrauchten 80er Jahre Bademeisters sein könnte. Rechts von ihm André Rieu. Tragischweise einbeinig. Der Bildbearbeiter hatte sein Pulver vermutlich beim geradebügeln von The Hoffs Gesicht verschossen. Kann man verstehen.

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Abschied ist ein schweres Schaf

Als ich in Atzenhausen die Koffer ans Motorrad schiebe und mit einem Tuch die Sitzbank vom Regen der Nacht befreie, hängen die Wolken über den Dörfern tief und drücken auf die Laune. Einerseits, weil das Ende des Urlaubs langsam näher kommt, andererseits, weil ausgerechnet heute, auf dem Weg durch den Harz, vorbei an Osterode und Hahnenklee, die Straßen doch bitte trocken sein könnten. 

Als ich vor Jahren das erste Mal in dieser Region war habe ich mich gleich schockverliebt in die dicht bewaldeten Täler, die verschlungenen Straßen und die urigen Dörfer, die ihren eigenen, rustikalen Charme haben. 

Heute raschelt beim Aufsteigen neben mir Thoms Regenhose und deutet darauf hin, dass wir von meinem eh schon gemächlichen Tempo noch ein paar Kmh abziehen werden. Zwar hat es freundlicherweise gerade zu regnen aufgehört, aber die Straßen sind noch nass, und da, wo sie langsam trocknen, traue ich dem Frieden nicht. Die Mischung aus böigem Wind und der griesen Wolkensuppe über uns macht das Losfahren heute schwer. Das hier ist einer dieser Tage, an denen man lieber seiner gemütlichen Höhle bleibt. Auch wenn die dekoriert ist wie die Roller- Möbelausstellung. 

Aber was hilft es, sich vom Wetter anstecken zu lassen? Wir müssen los, wir dürfen los, und wenn das Regenradar nicht ganz verkehrt liegt wird es über den Tag auch immer trockener. 

Jetzt, am späten Vormittag, muss ich allerdings noch reichlich Tropfen vom Visier wischen und drücken das Motorrad nur sehr zögerlich in die feuchten Kurven zwischen Wildemann und Lautenthal,

Zwischendurch hebe ich immer wieder fasziniert den Kopf. Über den Spitzkehren in den Fichten versucht der Morgennebel nach Kräften, sich noch ein bisschen an den Bäumen festzuhalten. Und so gern ich auch trockene Straße hätte, so sehr steht diese Schwere, die mit den Wolken über den Bergen hängt, dieser Gegend.

Ich muss nur ein bisschen aufpassen, dass diese Schwere nicht auch mich immer mehr nach unten zieht, denn besonders auf zwei Rädern hätte ich gerade wirklich nichts gegen etwas mehr sonnige Leichtigkeit. Die höbe die Laune. Und wenn die gerade nicht zu haben ist, dann könnte uns Beiden gerade ein Mittagessen auch nicht schaden. Und die Laune heben.

Und da ist es wieder, das Tolle daran, sich treiben zu lassen, nicht alles zu googeln und zu zerdenken: man erlebt einfach kleinen Überraschungen. Wobei: diese hier ist eine eher große Überraschung. Sie steht am Ortseingang von Langelsheim, heißt Harzer Schnitzelkönig und ist eine moderne Form gutbürgerlicher Küche. 

Mein geschultes Auge findet zwischen XXXL Burgern und hipen Salaten zielgerichtet das Pfefferschnitzel. Thom entscheidet sich für irgendwas mit Käse überbacken. Der Mann hat ja viele Talente, aber von Essen leider wirklich keine Ahnung…

Satt, zufrieden und sogar trocken parken wir nur knappe 10 Kilometer später unsere Motorräder in einem Hinterhof zwischen Gewächshaus und Waschbetontreppe. Ein bisschen feige drücke ich mich heute vor dem Einchecken und habe einen guten Riecher. Das ältere Ehepaar, dass in seinem Haus eine Souterrainwohnung an Gäste vermietet, hat nicht nur einen Hang zu großen floralen Motiven sondern offenbar auch Redebedarf. 

Thom wird, während ich noch am Motorrad beschäftigt tue, in einen Sog aus Erklärungen gezogen, der bei: „Bitte nicht aufs Waschbecken setzen, das bricht dann ab!“ beginnt und einfach nicht enden will. Schüchtern schleiche ich bis zur Wohnungstür, bereit, Thom zu retten, falls er wirklich keinen Ausweg mehr findet und die Ohren bluten. Aus sicherer Entfernung lausche ich der Entwarnung: „Die Katze tut nichts!“ , eile aber, als der Vermieterinnenmonolog hörbar näher kommt, zurück zum Motorrad, schnell wieder beschäftigt tun.

Wir übernachten unter schweren Plümos, essen vorher Döner auf Seidenkissensesseln und ich habe das dringende Bedürfnis, mir im Angesicht der wilden Tapetenmuster die Augen mit Seife auszuwaschen. Natürlich, ohne mich dazu aufs Becken zu setzen.

Als am nächsten Morgen schon vor 10 Uhr die Türklingel schellt ist tot stellen keine Option. Diesmal bin ich es, die mutig öffnet, während Thom im Wohnzimmer sehr beschäftigt seine Koffer packt. Na klar ist es die Vermieterin. Sie bringt einen Teller Kuchen, den: „Mein Mann und ich“ doch sicher mögen. Natürlich traue ich mich nicht, die vorausgesetzte Ehe sofort wieder aufzulösen, schon allein, um das Gespräch so kurz wie möglich halten. Sie hätte Thom auch meinen Sohn, meinen Vater oder meinen Entführer nennen können. Ich hätte mit freundlichem Servicelächlen den Teller geschnappt und die Tür geschlossen. Das Ding ist: ich mag keinen Kuchen und wir haben noch nicht einmal 10 Uhr am Morgen. Wohin mit dem Zeug? Im Müll findet sie ihn sofort. Essen ist keine Option. Das wird gleich sehr, sehr unangenehm,

Mit in den Sehnerv eingebrannten Plümomustern und immerhin einem kleinen Muffin im Bauch gestehen wir beim Auschecken kleinlaut, die Torte verschmäht zu haben. Dann schiebe ich die Koffer ans Motorrad, zuppele an den Klamotten, bändige das Handy und klettere, mit einem nachdenklichen Öff auf die Sitzbank.

Als ich den Motor starte ist Thom schon vom Hof gefahren. Nach einer Woche muss ich jetzt wieder ohne Kurvenerkunder, Navigator, Pausenplatzfinder und Reisekumpanen auskommen.

Und wenn ich mich nicht ganz arg täusche, bin ich nicht die Einzige hier, die jetzt schon Lust hätte, die nächste Tour zu planen. Also, Thom: die Frage ist nicht ob, sondern nur wann und wohin.

Ein Gasthaus, eine Burgruine und die traurigsten Stadt der Welt

Schon zum zweiten Mal diese Szene: Ein Auto fährt vor auf dem Resthof mit Ferienwohnung gleich am Teich unter den Linden in Atzenhausen. Ein Mann steigt aus, öffnet die Haustür, begrüßt überschwänglich eine vor die Wand gelaufene, schwarze Fellwurst, die nur deshalb nicht wild mit dem Schwanz wedelt, weil da kein Schwanz ist am Ende dieses Tieres. Hund auf den Beifahrersitz und weg.

Apropos weg: Die Runde ohne Gepäck soll heute uns führen zu einem einschlägigen Treffpunkt der Motorradfahrer in der Region. Nichts für mich, eigentlich, aber es ist ja kein Wochenende und so dominieren die Fahrradfahrer in Hemeln im Lokal an der Weserfähre.

Und das ist eine Kneipe, wie es sie längst nicht mehr geben kann, alles atmet Geschichte, die Toiletten im Hof mit dem Leergut, die Holzstühle in den Räumen mit den getäfelten rauchgelben Wänden und wenn ein Bierkutscher sich im Garten unter den Bäumen mit einem Nachtwächter, einem Tuchmacher und einem Gerber um ein paar Taler gestritten hätte, es hätte mich nicht gewundert. Die Bedienungen, seit 40 Jahren im Beruf, seit 40 Jahren hier, mindestens, vom Gewicht der Tabletts gebeugt an den Schultern, bringen Wasser, Bier, Kartoffelsalat und Bockwurst an die Tische mit den gebräunt-muskulösen, neonfarbenen Aktivsenioren, die den Weserradweg bevölkern und an unseren auch.

Die Weser hinunter. Ein bisschen Bundesstraße, links Hessen, rechts Niedersachsen, dann enge Kurven, das Ziel eine Burgruine, die sich erhebt über einer Stadt, die von den Einwohnern aufgegeben scheint und erst wieder Reiz entfaltet als Modellbaulandschaft, so nämlich sieht sie aus vom Burgturm aus betrachtet. Zu dem sind wir gelangt in mutiger Steilfahrt und haben gefunden einen Parkplatz, wo es keinen gibt. Doch der Burgwächter ist milde von der Arbeit an Insektenhotels, die er verrichtet, um die Wartezeit auf Besucher zu verkürzen und eines unserer Nummernschilder ist Gesprächsanlass, weil: auch Burgwächter ursprünglich zuhause in der Gegend, die das Kennzeichen verrät und natürlich gut bekannt mit der Sippe meiner Begleiterin. Der Norddeutsche in mir erfährt ein zweites Mal auf dieser Tour, wie gesprächig Fremde miteinander werden können, wenn sie nicht aus dem Norden kommen.

Dann – Bundesstraße, rechts Hessen, links Niedersachsen bis Hann. Münden. Ein Flashback – hier war ich vor zwei Jahren schon auf einer Motorradtour – zweimal sogar – eine lange Geschichte, die abgekürzt lautet: mein Navi hatte mich Hops genommen. Und weil ich vor zwei Jahren wenig Gutes zu sagen hatte über diesen Ort, an dem Werra und Fulda zur Weser werden, angesichts von Tankstellen, die Barzahlung wollen und ein zu kleines Sortiment an Kabeln im Regal haben, stapfen wir diesmal eine Runde durch die Altstadt, analysieren Unfallspuren an Kleinwagen, kriegen Kaffee (draußen nur Kännchen!) und Schorle von einer jungen Frau mit Kinderhandschrift serviert und ich schwadroniere, als wäre ich gebildet, vom 30-jährigen Krieg, von Tilly und Kanonen und vielen Toten – wie gut, dass es Wikipedia gibt.

An dieser Stelle ist wieder eine Korrektur fällig: am Vortag sorgt – anders als in diesem Artikel beschrieben – Aenni dafür, dass wir nicht verhungern. Todesmutig durchquert sie den Supermarkt in Witzenhausen, ich darf draußen bleiben und rauchen und menschenscheu die Steine zählen auf dem Parkplatz und deshalb ist am Ende des gestrigen Tages alles gut.

Heute erst verpassen wir den letzten Supermarkt auf der Route, so dass ich am Abzweig, an dem sich Hochkultur und Malle-Schlager treffen – ausgeschildert sind: Stockhausen und Atzenhausen – noch einmal umdrehe und mich davon überzeugen darf, dass Hedemünden noch viel trauriger aussieht als jede andere Stadt, die wir bis dahin durchquert haben. Brötchen gibt’s erst in Witzenhausen, aber das ist nicht weit, wenn man über die Bundesstraße fliegt, und es gibt dort einen Bäcker mit Drive in.

Am Abend ermitteln schöne Menschen im Fernsehen, so dass die Begleiterin fast aus der Haut fährt angesichts der vorbeiflimmernden Karikatur von Polizeiarbeit, dann: Augen zu und Rainald Grebe setzt das am Vorabend angefangene Hongkong-Konzert fort, wieder ohne, dass ich das Ende erlebe.

Atzenhausen

Heute wieder größeres Öff. Die Koffer sind gepackt, für die Weiterfahrt. Von Potzwenden geht es nur eine gute halbe Stunde weiter nach Atzenhausen. Man könnte meinen, wir hätten die Stopps dieser Reise nach den weirdesten Ortsnamen ausgesucht. Die sind hier aber kein Argument, weil: alle verrückt. 

In Atzenhausen dann weder Waldbad noch Hütte noch 70er Kacheln sondern eine neu renovierte Gästewohnung auf einem Resthof. Ausgebauter Heuboden statt holzvertäfelter Hütte. Ausreichend dekoriert, um als Nippes- Ausstellung durchzugehen und die Decken so tief, dass ich ständig im Augenwinkel gucke, ob Thom sich im nächsten Moment irgendwo übel den Kopf andoingst.

Als wir den Vermieter, einen sympathischen Mittfünfziger im Muskelshirt, fragen, ob wir eventuell eine zweite Nacht dranhängen könnten, blitzt es kurz in seinen Augen. Klar, können wir, denn seine Frau, die hier eigentlich die Wohnungen vermietet, ist eh nicht da, kommt erst übermorgen wieder und wenn wir morgen nicht auszögen, dann müsste er nicht in Abwesenheit der Hausfrau hinter uns putzen. Ganz schön clever, der Mann. Gefällt uns.

Wir laden die Koffer ab und suchen nach einer Option fürs Mittagessen. Google Maps schlägt uns ein Bauerncafé auf einem Kirschhof vor. Offenbar hat es den Hof auch einer Rentnergruppe aus Unna vorgeschlagen. Jedenfalls sind wir beim Einparken kurz davor, uns von einer rüstigen Unneranerin einen mittelgroßen Anpfiff einzuhandeln, als sie unseretwegen, als Anführerin einer ganzen Unneranerinnen- Crew, ihren unneraner Kombi nicht wie beabsichtigt in eine der freien Lücken rangieren kann. Natürlich machen wir Platz. Erstens, sind wir höflich und zweitens haben wir echt keinen Bock auf Beef mit einer Gruppe hungriger Ruhrgebietsrentnerinnen. Als die resolute Dame ihren Begleiterinnen den Tagesbefehl erläutert (Kirschwanderweg! Essen, fassen! Einrücken in Unterkunft!), nutzen wir die Chance, noch vor der Horde im Hofcafé Platz zu nehmen und unsere Schnitzelbestellung zu platzieren. Glück gehabt. 

Zwischen Rentnern und Strandkörben lauschen wir mit Schnitzel im Bauch den süddeutschen Dialekten um uns herum. Dann parken, wir von Unneranerinnen unbehelligt aus und kurven weiter durch Dörfer mit Namen wie Waldkapell, Cornberg und Bebra. Fast alle niedlich und fast alle mit der obligatorischen abknickenden Vorfahrt. Nur schöne Pausenplätze bleiben rar.

Die Runde, die wir am Ende gemacht haben, ist heute deutlich kleiner als die, die wir vor hatten. Aber uns beiden steht nicht mehr der Sinn nach sehr vielen Kilometern. Dafür sind wir ganz gut im Sitzen und gucken. So vermeiden wir größere Abnutzungserscheinungen und stoßen durch Zufall sogar auf einen der top Aussichtspunkte der Region. Die Menschen, die dort auf unsere unbekannten Kennzeichen aufmerksam werden, nutzen jede Chance, sich von uns ein Kompliment für ihre Heimat abzuholen. Wir können das sehr gut verstehen und betonen wahrheitsgemäß, wie sehr wir den diese Gegend unterschätzt haben.

Auf den letzten Kilometern verpassen wir den Abzweig zum Supermarkt und ich darf schon mal alleine vor dem nahen Regen flüchten, während Thom anbietet, den Umweg zum Abendbrotkauf ohne mich zu machen. Richtiger Gentleman, mein Reisebegleiter. Vielleicht freut er sich auch ein bisschen, wenigstens ein paar Kurven lang nicht auf die vorsichtig folgenden Scheinwerfer zu achten. Ich gönne es ihm, denn dass er das ständig zu tun scheint macht mir ein bisschen mehr Druck, als ich zugeben möchte. Einerseits weil ich schon ganz gut auf mich aufpassen und auch mal ein Stück in Ruhe und Abstand hinterherfahren kann, andererseits weil ich mich auch ein bisschen dafür verantwortlich fühle, dass auch Thom einen Urlaub nach seinen Vorstellungen hat.

Er allerdings wird nach wie vor nicht müde zu betonen, dass ihm das nichts ausmacht, er gern Rücksicht nimmt und mein Reisetempo vollkommen klar geht. Wenn ich es noch ein paar mal höre, glaube ich es sogar vielleicht ein bisschen.

Wie (Thom sagt) Tag drei wirklich war.

Wenn zwei gemeinsam reisen und Einer fährt vor und Eine folgt nach, und beide gucken durch zwei ganz verschiedene Visiere auf die Gegend, die sich unter ihren Reifen längs schiebt, dann müssen die beiden sich gar nicht immer einig sein, über ihre Eindrücke. Als ich Thom also bat, meinen Rückblick auf Tag drei unserer Tour zu lesen, bot er mir gleich an, Passagen zu ergänzen und richtig zu stellen. Ergänzen, das leuchtete mir ein, aber… richtig stellen? Ich weiß ja nicht…

Thoms Anmerkungen habe ich zur besseren Lesbarkeit eingefärbt und kursiv gestellt. Inhaltlich erkennt ihr sie daran, dass er natürlich maßlos übertreibt. Also: finde ich.

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Kurven. Krokant. Grieche mit Pferd.

Ob Thom vielleicht Lust hätte, Tag zwei unserer Tour zusammenzufassen, fragte ich mich. Und dann ihn. Hätte er, schrieb er. Und tippte los. Das werde dann aber nicht so detailliert, ich sei ja immer so akribisch. Seine Vermutung. Minuten später hatte ich Post.

Danke, Thom. Für’s Vorwegfahren, Warten, Pausenplätze Finden und für diesen zauberhaften Text. Ich bin Fan!

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„Da hinten hat ein Mann ein Pferd weggetragen!“

Hätte ich doch noch ein T-Shirt einpacken sollen? Oder die von Thom so massiv beworbene Thermo-Unterwäsche? Egal. Die Koffer sind zu, das Navi ist an. Ich fahre jetzt.

Die Einfahrt runter, über den kleinen Hubbel, kurz aufstehen und die Hose zurecht zuppeln. Nicht mehr an fehlende T-Shirts denken. Ab jetzt ist Urlaub.

An der Tankstelle hadere ich ein letztes Mal mit meinen Pack- Entscheidungen, dann nehme ich die Autobahnauffahrt und beschleunige mein voll bepacktes Reise- Muli. Raus aus dem Dorf, raus aus dem Ruhrgebiet, immer in Richtung Nordosten. Bei Paderborn verlasse ich die A44 und hangele mich von Dorf zu Dorf, bei Bad Pyrmont mache ich die erste richtige Pause. Das T-Shirt ist nass. Volle Breitseite hat die Sonne versucht, mein Resthirn sous vide zu garen. Mit einer kalten Flasche Wasser aus dem Tankrucksack und der Aussicht auf eine kühle Cola halte ich tapfer dagegen.

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Omaha Beach

“Come! Over here!“ schreit die Männerstimme aus dem Lautsprecher über mir. Gewehrsalven dröhnen. Granaten explodieren. Männer brüllen wild durcheinander. Ich greife nach zwei Zeitungsseiten. Auf Aluminium gedruckt stecken sie in einem Regal neben mir. „JOUR DE VICTOIRE“ titelt die eine, „L’ ALLEMAGNE A CAPITULÈ“, die andere Titelseite.

Heute ist der 08. Mai 2023. Das Ende es zweiten Weltkriegs jährt sich zum 78. Mal. 

Ein guter Tag für einen Besuch in einem Museum wie diesem. Langsam bewegen wir uns durch die Ausstellung im „Operation Overlord“ Museum, ergriffen von den Exponaten und beeindruckt von der Tiefe der Dioramen.

Am Ende der Ausstellung kommen wir in einen langen Gang. An den Wänden hängen großformatige Portraits von alt gewordenen D-Day Veteranen bei Jahrestagen am Strand von Omaha Beach. daneben in klein Fotos von damals. Stolz stehen sie da, in ihren Uniformen mit ihren Abzeichen. Kurze Texte neben den Bildern erzählen uns von ihren ganz persönlichen Erinnerungen an die Operation Overlord. Heldengeschichten finde ich keine. Stattdessen lese ich grausame Schilderungen ängstlicher junger Männer, von im Wasser treibenden Leichen, zurückgelassenen verwundeten Kameraden, von der Suche nach Deckung im Angesicht des eigenen Todes. Es geht ums Töten und getötet Werden.

Ich muss schwer schlucken und merke, dass ich mich den Portraits kurz abwenden möchte. Mit einem Klos im Hals gehe ich ein paar Schritte an den Fotos entlang, entscheide mich dann aber, weiter zu lesen. Ich habe jetzt zwar einen kleinen Eindruck, wie dieser Morgen im Juni 1944 abgelaufen sein könnte. Was die Soldaten am D-Day wirklich erlebt haben? Ich kann es mir in den dunkelsten Gedanken nicht ausmalen. 

Wir haben das Ende der Ausstellung erreicht. Im obligatorischen Souvenierladen staune ich über D-Day Tassen, Klemmbausteinbunker und niedlichen Bärchen mit „Bruchpilot“- Aufdrucken. Dass hier viele Amerikaner shoppen, ist recht leicht zu erraten.

Nach dem Besuch des Museums entschließen wir uns, wenigstens noch einen kleinen Rundgang über den nahen amerikanischen Soldatenfriedhof direkt an der Steilküste zumachen. Dort kann ich die Eindrücke aus dem Museum langsam sacken lassen. Um mich herum werden Busladungen amerikanischer Touristen von ihren Guides herumgeführt. Im Hintergrund klingt vom Memorial her als Glockenspiel The Star-Sprangled Banner.

Zum ersten Mal heute bricht die Sonne durch die Wolken und der Strand von Colleville-sur-Mer, Omaha Beach, über den alle hier aufs Wasser blicken, könnte kaum beschaulicher aussehen. 

Nachdenklich, demütig, radele ich zum Brummi zurück. Aus der Schiebetür kann ich Omaha Beach weit überblicken. Neben dem Stranzugang ragen Reste von Wehrmachtsstellungen aus den Klippen, „wie das eben so ist“ an der normannischen und bretonischen Küste. Immer wieder schleicht sich der Gedanke ein, dass von hier oben aus die Soldaten auf den Portraits beschossen und tausende von ihnen getötet wurden. Hier, auf dieser wunderschönen Klippe, mit diesem zauberhaften Blick über dieses unschuldige Wasser, fand soetwas wie ein Anfang vom Ende des zweiten Weltkriegs statt und mein Gehirn hat echt Schwierigkeiten, die Schönheit der Gegend und ihre furchtbare Geschichte gleichzeitig zu verarbeiten.

In den letzten zwei Tagen habe ich ein bisschen mehr verstanden, was hier damals passiert ist. Begreifen werde ich es wohl nie können.

Angers – Wandteppich der Apokalypse

Heute sind wir zum ersten Mal auf dieser Reise recht spontan. 

Als wir morgens in Saumur die Fahrräder auf den Brummi laden haben wir zwar eine Vorstellung, welcher Platz es für den Abend werden könnte, reserviert haben wir allerdings noch nicht. Wir verlassen uns auf die Nebensaison und die Menge an Alternativen.

Nahe Saumur möchte ich noch die Unesco Welterbestätte „Troglodytes et sarcophages„ besuchen. Das Navi allerdings hat seine Hausaufgaben gemacht und verrät, als wir losfahren, dass die Höhlen dienstags Ruhetag haben. Hätten wir so ein Google damals beim Frankreich- Schüleraustausch schon gehabt, hätte der Französischlehrer in dem eigens gemieteten Reisebus vor dem montags geschlossenen Freilichtmuseum Hagen nicht ganz so belämmert ausgesehen. Im Gegensatz zu ihm damals haben wir den charmanten Vorteil, uns vom Handy auch gleich einen Kulturausflugsplan B vorschlagen lassen zu können.

Glo und Google einigen sich auf einen Besuch der Festung von Angers. Dafür sprechen ihre verkehrsgünstige Lage auf halber Strecke ans Meer (die der Festung, nicht die der Glo) und ihre 4 1/2 Google- Sterne (äh: auch die der Festung…). Denn: seien wir ehrlich, nach anderen Kriterien sind wir zwei Geschichtsbanausinnen auch nicht in der Lage, unter den unendlichen Schlossbesichtigungsmöglichkeiten längs der Loire die Beste auszusuchen.

Als wir Angers erreichen bin ich geneigt, für die miserable Parkplatzsituation gleich einen halben Google- Stern abzuziehen. Rings um die Festung findet sich nur mit dreimal im Kreis Fahren ein Platz für den Bummi. Da hätten die… äh… Angerer Festungsbauer (ich gendere hier mal nicht, so viele Maurerinnen dürften damals den Bumms hier nicht hochgezogen haben…) aber ein wenig zugunsten eines Parkplatzes am Garten sparen können.

Mit zwei Tickets und einem deutschen Flyer bewaffnet nehmen Glo und ich in einem Handstreich den Innenhof der recht stattlichen Festung ein. So leicht kam man vierzehnhun… damals irgendwann vermutlich als deutsche Touristin nicht hier rein. Wenn man vierzehnhundertdings überhaupt einen Brummi hatte, der einen hätte zur Festung fahren können. Und einen Parkplatz musste ja auch noch frei sein.

Glo steckt jedenfalls sofort die Nase in den Flyer und verkündet, dass wir 12 Punkte abzuhaken haben, um als Angerer Festungsexpertinnen hier wieder raus zu gehen. Zwölf, denke ich, sind ganz schön viele. Ich meine: alte Steine hier, Garten dort, da ne Kapelle. Zack, feddich, Festung. Um meinem Tour Guide nicht gleich die Motivation zu rauben schweige ich höflich und folge zu Punkt 1. Los geht‘s. „Hier stehen wir vor dem… kacke! Ich hab mein Portmonee im Auto vergessen!“ Ups. Nach ein wenig hin und her überlegen entscheidet Glo todesmutig, ans Gute zu Glauben und nicht noch einmal zurück zum Brummi zu latschen. Von nun an mischt sich unter Glos Vorträge über Gärten, Wehrgänge und Wohngebäude, die sie mir hochprofessionell aus dem mediocre in Deutsche übersetzen Flyer hält, solange dann und wann ein: „Manno! Oder geh ich das besser doch noch holen?“ bis wir die Festungsmauer erklimmen und uns beim Blick auf unser fahrendes Home und zugleich Castle von der Unversehrtheit sämtlicher Brummischeiben überzeugen können.

Im Inneren der alten Gebäude haben wir inzwischen etwas über die Geschichte der Wandteppiche erfahren. Ich wüsste wenige Situationen im Leben, in denen mich mittelalterliche Wandteppichstories aus der Reserve gelockt hätten. Hier allerdings stehen wir, so verspricht ein ansprechend designtes Plakat hinter der ersten Tür, auf dem eine als Comic gezeichnete Frau mit einem Schild einen feuerspeienden Drachen abwehrt, vom „Teppichzyklus der Apokalypse“ nur 50 Meter entfernt.

Apokalyptische Wandteppiche? Aus dem Mittelalter? Ihr dachtet wie ich bisher, der Place Dauphine mit den Pétanquespielern in Paris sei die Zufallsentdeckung der Reise? Ihr wisst offenbar nichts über apokalyptische Wandteppichwebekunst.

Wir folgen also der Ausstellung, die sich freundlicherweise an verspielte Gemüter wie unsere wendet, lernen Einiges über Wolle und das Teppichweben an sich, über den wärmenden und schmückenden Zweck von Wandteppichen und Glo schlägt mich vernichtend in einer Partie „Wer ist es?“, in der sie meine Identität als „Cathérine la cardeuse“ in wenigen Fragen enttarnt.

Wieder im Hof habe ich dann allerdings genug alte Steine gesehen (vielleicht wirkt auch die Enttäuschung über die Niederlage nach?) und schlage Glo vor, den Rest ihrer Liste alleine abzuhaken, während ich mir ein Plätzchen suchen und statt alter Steine Menschen beobachten könnte. In strenger Tour-Guide-Manier besteht sie allerdings darauf, den Finalen 12. Flyer-Punkt nun aber auch noch abzuhaken. Seufzend raffe ich mich, obwohl ich sicher bin, alles über Festung und Teppiche aufgeschnappt zu haben, was ich für mein weiteres Leben so brauche, auf und trotte ihr tapfer hinterher.

Schon leicht geschafft liest Glo also vor: „12: Die Galerie der Apokalypse: Diese L-förmige Galerie wurde in der Mitte des 20. Jh. an der Stelle von zerstörten Gebäuden errichtet und 1996 umgebaut. Sie birgt den monumentalen Wandteppichzyklus.“ Die Erläuterungen zum Wandteppichzyklus der Apokalypse auf der Rückseite des Faltblatts enthält sie mir vor. Dann betreten wir ein Glasfoyer, das mir für ein paar muffige Teppiche als reichlich übertrieben und zu dem sonst eher bodenständigen Ausstellungsambiente der Festung nicht so recht zu passen scheint. 

Durch eine unscheinbare Tür kommen wir schließlich hinter einer französischen Rentnergruppe in einen L-förmigen Rau. Dort bleiben wir, verdattert und demütig, stehen. Denn nur zwei Meter vor uns hängt plötzlich tatsächlich ein meterhohes, schier endloses Kunstwerk. Der Wandteppich. Was wohl den Herzog 1373 geritten hat, so einen Teppich- Kawenzmann in Auftrag zu geben? Ich stelle mir das Gespräch etwa so vor: „Einmal die Offenbarung des Johannes als Teppich zum Hinhängen bitte! Maße: Ach, wat soll der Geiz, machen Se mal so 100 Meter, so ne Festung hat ja das eine oder andere Zimmer…“.

So schlendern wir also, flüsternd und staunend, dran längs, an diesem riesigen biblischen Wandtattoo und schicken demjenigen dankbare Grüße, der beschlossen hat, dass die Höhlen bei Saumur dienstags Ruhetag haben.

Auf dem Rückweg zum sicher eingeschlossen Portmonee entschuldige ich mich aufrichtig bei Glo dafür, dass ich von ihrer zwölfteiligen Führung beinahe kurz vor dem grande Finale abgesprungen wäre. Das wäre wirklich ein Fehler gewesen.

Dann drücken wir, soweit es die Sorge vor den mutmaßlich horrenden bretonischen Bußgeldern zulässt, weiter in Richtung Westen. Als wir um 17.56 mit hektischem Schweiß auf der Stirn vor dem Campingplatz bei Prévailles parken, um vier Minuten vor Rezeptionsschluss noch einen Platz mit Meerblick zu reservieren, ist mein Feuer für die Wandteppichapokalypse bereits wieder erloschen. 

Aber einmal mehr ist bewiesen, dass man spontanen Ideen (ok: und viereinhalb Sternen auf Google Maps) folgen sollte, um aus Versehen auf den Wandteppich der Apokalypse zu stoßen.

Saumur – raus aus dem Gewimmel

„Noch ein bisschen mehr Hund, dann wird‘s braun!“ sagt Glo. Ich stelle den Kocher ein wenig heißer und gieße einen Schluck Teig in den Ridgemonkey. Nach zwei Tagen Paris, in denen wir nicht selbst gekocht haben, steht heute zum ersten Mal der Gaskocher vor dem Brummi.

Bei Pfannkuchen mit Nutella beenden wir Tag drei unserer Reise. Heute Morgen haben wir Paris hinter uns gelassen, die hupenden Autos, die Menschen, die fahren, als wollten sie partout alle Vorurteile verwirklichen, die eimergroßen Schlaglöcher in den Stadtautobahnen, all das haben wir eingetauscht gegen die Niedlichkeit der Loire.

Als wir auf den Campingplatz einbogen ploppte wie bestellt das Schloss von Saumur im Hintergrund auf. Vorne trug die Loire beschaulich plätschernd historische Holzboote flussabwärts und um unseren Stellplatz herum zwitscherten die Vögel, als wollten sie das Autobahncampingplatzambiente der ersten beiden Nächte zügig ausgleichen.

Passend zur gemütlichen Szene radelten Glo und ich also heute nur einmal über den Fluss, hoch zum Schloss, genossen Panorama und Ruhe und setzten uns dann, wie wir es vorhatten, gemütlich vor den Brummi. 

Und nachdem der letzte Pfannkuchen gewendet und der Kocher verstaut war feierte das Open Air Brummikino seine Premiere und wir schauten, immerzu über den Irrsinn dieser zugleich unfassbar witzigen und übertriebenen Anschaffung kichernd, mehr oder weniger dick eingemummelt vor der Brummitür der Bergwacht Ramsau dabei zu, wie sie heute in Saumur die am Abend zuvor in Paris zurückgelassenen Verletzten rettete.. 

Morgen werden wir das erste Mal so richtig ausschlafen, bevor wir nach nur einer Nacht an der Loire weiter ziehen wollen, Richtung Westen, bis irgendwo das Meer kommt.

Einen Platz haben wir nicht reserviert. Aber jetzt, in der Nebensaison, sollte sich wohl einer finden.