Heute sind wir zum ersten Mal auf dieser Reise recht spontan.
Als wir morgens in Saumur die Fahrräder auf den Brummi laden haben wir zwar eine Vorstellung, welcher Platz es für den Abend werden könnte, reserviert haben wir allerdings noch nicht. Wir verlassen uns auf die Nebensaison und die Menge an Alternativen.
Nahe Saumur möchte ich noch die Unesco Welterbestätte „Troglodytes et sarcophages„ besuchen. Das Navi allerdings hat seine Hausaufgaben gemacht und verrät, als wir losfahren, dass die Höhlen dienstags Ruhetag haben. Hätten wir so ein Google damals beim Frankreich- Schüleraustausch schon gehabt, hätte der Französischlehrer in dem eigens gemieteten Reisebus vor dem montags geschlossenen Freilichtmuseum Hagen nicht ganz so belämmert ausgesehen. Im Gegensatz zu ihm damals haben wir den charmanten Vorteil, uns vom Handy auch gleich einen Kulturausflugsplan B vorschlagen lassen zu können.
Glo und Google einigen sich auf einen Besuch der Festung von Angers. Dafür sprechen ihre verkehrsgünstige Lage auf halber Strecke ans Meer (die der Festung, nicht die der Glo) und ihre 4 1/2 Google- Sterne (äh: auch die der Festung…). Denn: seien wir ehrlich, nach anderen Kriterien sind wir zwei Geschichtsbanausinnen auch nicht in der Lage, unter den unendlichen Schlossbesichtigungsmöglichkeiten längs der Loire die Beste auszusuchen.
Als wir Angers erreichen bin ich geneigt, für die miserable Parkplatzsituation gleich einen halben Google- Stern abzuziehen. Rings um die Festung findet sich nur mit dreimal im Kreis Fahren ein Platz für den Bummi. Da hätten die… äh… Angerer Festungsbauer (ich gendere hier mal nicht, so viele Maurerinnen dürften damals den Bumms hier nicht hochgezogen haben…) aber ein wenig zugunsten eines Parkplatzes am Garten sparen können.
Mit zwei Tickets und einem deutschen Flyer bewaffnet nehmen Glo und ich in einem Handstreich den Innenhof der recht stattlichen Festung ein. So leicht kam man vierzehnhun… damals irgendwann vermutlich als deutsche Touristin nicht hier rein. Wenn man vierzehnhundertdings überhaupt einen Brummi hatte, der einen hätte zur Festung fahren können. Und einen Parkplatz musste ja auch noch frei sein.
Glo steckt jedenfalls sofort die Nase in den Flyer und verkündet, dass wir 12 Punkte abzuhaken haben, um als Angerer Festungsexpertinnen hier wieder raus zu gehen. Zwölf, denke ich, sind ganz schön viele. Ich meine: alte Steine hier, Garten dort, da ne Kapelle. Zack, feddich, Festung. Um meinem Tour Guide nicht gleich die Motivation zu rauben schweige ich höflich und folge zu Punkt 1. Los geht‘s. „Hier stehen wir vor dem… kacke! Ich hab mein Portmonee im Auto vergessen!“ Ups. Nach ein wenig hin und her überlegen entscheidet Glo todesmutig, ans Gute zu Glauben und nicht noch einmal zurück zum Brummi zu latschen. Von nun an mischt sich unter Glos Vorträge über Gärten, Wehrgänge und Wohngebäude, die sie mir hochprofessionell aus dem mediocre in Deutsche übersetzen Flyer hält, solange dann und wann ein: „Manno! Oder geh ich das besser doch noch holen?“ bis wir die Festungsmauer erklimmen und uns beim Blick auf unser fahrendes Home und zugleich Castle von der Unversehrtheit sämtlicher Brummischeiben überzeugen können.
Im Inneren der alten Gebäude haben wir inzwischen etwas über die Geschichte der Wandteppiche erfahren. Ich wüsste wenige Situationen im Leben, in denen mich mittelalterliche Wandteppichstories aus der Reserve gelockt hätten. Hier allerdings stehen wir, so verspricht ein ansprechend designtes Plakat hinter der ersten Tür, auf dem eine als Comic gezeichnete Frau mit einem Schild einen feuerspeienden Drachen abwehrt, vom „Teppichzyklus der Apokalypse“ nur 50 Meter entfernt.
Apokalyptische Wandteppiche? Aus dem Mittelalter? Ihr dachtet wie ich bisher, der Place Dauphine mit den Pétanquespielern in Paris sei die Zufallsentdeckung der Reise? Ihr wisst offenbar nichts über apokalyptische Wandteppichwebekunst.
Wir folgen also der Ausstellung, die sich freundlicherweise an verspielte Gemüter wie unsere wendet, lernen Einiges über Wolle und das Teppichweben an sich, über den wärmenden und schmückenden Zweck von Wandteppichen und Glo schlägt mich vernichtend in einer Partie „Wer ist es?“, in der sie meine Identität als „Cathérine la cardeuse“ in wenigen Fragen enttarnt.
Wieder im Hof habe ich dann allerdings genug alte Steine gesehen (vielleicht wirkt auch die Enttäuschung über die Niederlage nach?) und schlage Glo vor, den Rest ihrer Liste alleine abzuhaken, während ich mir ein Plätzchen suchen und statt alter Steine Menschen beobachten könnte. In strenger Tour-Guide-Manier besteht sie allerdings darauf, den Finalen 12. Flyer-Punkt nun aber auch noch abzuhaken. Seufzend raffe ich mich, obwohl ich sicher bin, alles über Festung und Teppiche aufgeschnappt zu haben, was ich für mein weiteres Leben so brauche, auf und trotte ihr tapfer hinterher.
Schon leicht geschafft liest Glo also vor: „12: Die Galerie der Apokalypse: Diese L-förmige Galerie wurde in der Mitte des 20. Jh. an der Stelle von zerstörten Gebäuden errichtet und 1996 umgebaut. Sie birgt den monumentalen Wandteppichzyklus.“ Die Erläuterungen zum Wandteppichzyklus der Apokalypse auf der Rückseite des Faltblatts enthält sie mir vor. Dann betreten wir ein Glasfoyer, das mir für ein paar muffige Teppiche als reichlich übertrieben und zu dem sonst eher bodenständigen Ausstellungsambiente der Festung nicht so recht zu passen scheint.
Durch eine unscheinbare Tür kommen wir schließlich hinter einer französischen Rentnergruppe in einen L-förmigen Rau. Dort bleiben wir, verdattert und demütig, stehen. Denn nur zwei Meter vor uns hängt plötzlich tatsächlich ein meterhohes, schier endloses Kunstwerk. Der Wandteppich. Was wohl den Herzog 1373 geritten hat, so einen Teppich- Kawenzmann in Auftrag zu geben? Ich stelle mir das Gespräch etwa so vor: „Einmal die Offenbarung des Johannes als Teppich zum Hinhängen bitte! Maße: Ach, wat soll der Geiz, machen Se mal so 100 Meter, so ne Festung hat ja das eine oder andere Zimmer…“.
So schlendern wir also, flüsternd und staunend, dran längs, an diesem riesigen biblischen Wandtattoo und schicken demjenigen dankbare Grüße, der beschlossen hat, dass die Höhlen bei Saumur dienstags Ruhetag haben.
Auf dem Rückweg zum sicher eingeschlossen Portmonee entschuldige ich mich aufrichtig bei Glo dafür, dass ich von ihrer zwölfteiligen Führung beinahe kurz vor dem grande Finale abgesprungen wäre. Das wäre wirklich ein Fehler gewesen.
Dann drücken wir, soweit es die Sorge vor den mutmaßlich horrenden bretonischen Bußgeldern zulässt, weiter in Richtung Westen. Als wir um 17.56 mit hektischem Schweiß auf der Stirn vor dem Campingplatz bei Prévailles parken, um vier Minuten vor Rezeptionsschluss noch einen Platz mit Meerblick zu reservieren, ist mein Feuer für die Wandteppichapokalypse bereits wieder erloschen.
Aber einmal mehr ist bewiesen, dass man spontanen Ideen (ok: und viereinhalb Sternen auf Google Maps) folgen sollte, um aus Versehen auf den Wandteppich der Apokalypse zu stoßen.




