Omaha Beach

“Come! Over here!“ schreit die Männerstimme aus dem Lautsprecher über mir. Gewehrsalven dröhnen. Granaten explodieren. Männer brüllen wild durcheinander. Ich greife nach zwei Zeitungsseiten. Auf Aluminium gedruckt stecken sie in einem Regal neben mir. „JOUR DE VICTOIRE“ titelt die eine, „L’ ALLEMAGNE A CAPITULÈ“, die andere Titelseite.

Heute ist der 08. Mai 2023. Das Ende es zweiten Weltkriegs jährt sich zum 78. Mal. 

Ein guter Tag für einen Besuch in einem Museum wie diesem. Langsam bewegen wir uns durch die Ausstellung im „Operation Overlord“ Museum, ergriffen von den Exponaten und beeindruckt von der Tiefe der Dioramen.

Am Ende der Ausstellung kommen wir in einen langen Gang. An den Wänden hängen großformatige Portraits von alt gewordenen D-Day Veteranen bei Jahrestagen am Strand von Omaha Beach. daneben in klein Fotos von damals. Stolz stehen sie da, in ihren Uniformen mit ihren Abzeichen. Kurze Texte neben den Bildern erzählen uns von ihren ganz persönlichen Erinnerungen an die Operation Overlord. Heldengeschichten finde ich keine. Stattdessen lese ich grausame Schilderungen ängstlicher junger Männer, von im Wasser treibenden Leichen, zurückgelassenen verwundeten Kameraden, von der Suche nach Deckung im Angesicht des eigenen Todes. Es geht ums Töten und getötet Werden.

Ich muss schwer schlucken und merke, dass ich mich den Portraits kurz abwenden möchte. Mit einem Klos im Hals gehe ich ein paar Schritte an den Fotos entlang, entscheide mich dann aber, weiter zu lesen. Ich habe jetzt zwar einen kleinen Eindruck, wie dieser Morgen im Juni 1944 abgelaufen sein könnte. Was die Soldaten am D-Day wirklich erlebt haben? Ich kann es mir in den dunkelsten Gedanken nicht ausmalen. 

Wir haben das Ende der Ausstellung erreicht. Im obligatorischen Souvenierladen staune ich über D-Day Tassen, Klemmbausteinbunker und niedlichen Bärchen mit „Bruchpilot“- Aufdrucken. Dass hier viele Amerikaner shoppen, ist recht leicht zu erraten.

Nach dem Besuch des Museums entschließen wir uns, wenigstens noch einen kleinen Rundgang über den nahen amerikanischen Soldatenfriedhof direkt an der Steilküste zumachen. Dort kann ich die Eindrücke aus dem Museum langsam sacken lassen. Um mich herum werden Busladungen amerikanischer Touristen von ihren Guides herumgeführt. Im Hintergrund klingt vom Memorial her als Glockenspiel The Star-Sprangled Banner.

Zum ersten Mal heute bricht die Sonne durch die Wolken und der Strand von Colleville-sur-Mer, Omaha Beach, über den alle hier aufs Wasser blicken, könnte kaum beschaulicher aussehen. 

Nachdenklich, demütig, radele ich zum Brummi zurück. Aus der Schiebetür kann ich Omaha Beach weit überblicken. Neben dem Stranzugang ragen Reste von Wehrmachtsstellungen aus den Klippen, „wie das eben so ist“ an der normannischen und bretonischen Küste. Immer wieder schleicht sich der Gedanke ein, dass von hier oben aus die Soldaten auf den Portraits beschossen und tausende von ihnen getötet wurden. Hier, auf dieser wunderschönen Klippe, mit diesem zauberhaften Blick über dieses unschuldige Wasser, fand soetwas wie ein Anfang vom Ende des zweiten Weltkriegs statt und mein Gehirn hat echt Schwierigkeiten, die Schönheit der Gegend und ihre furchtbare Geschichte gleichzeitig zu verarbeiten.

In den letzten zwei Tagen habe ich ein bisschen mehr verstanden, was hier damals passiert ist. Begreifen werde ich es wohl nie können.

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