“Da, und da und da: Da kommt überall schlechte Luft raus. Von der Nachbarin.” Der Mann Mitte 40 deutet auf die Fußleisten im Wohnzimmer, die er mit Gewebeband abgedichtet hat. Auch sonst hat er ziemlich viele Vorkehrungen getroffen, um nicht aus der Wohnung unter sich vergiftet zu werden. Überall liegen Matten aus PVC, die miteinander verklebt sind.
Die Nachbarin, die er für so gefährlich hält, lebt dort allerdings schon lange nicht mehr. Und – ihr denkt es euch – sie war auch nicht für irgendwelche schlechte Luft verantwortlich.
Ein wenig muffig ist es hier, aber nichts deutet auf irgendeine Gefahr für den Wohnungsinhaber hin. Im Schlafzimmer hat er gleich zwei Messgeräte installiert, die die Raumluft bewerten und dem Muff “gute Luftqualität” bescheinigen. “Aber nachts ist schlecht. Gucken Sie!” zeigt der Mann mir und drückt Knöpfchen. “Ja!” sage ich: “Nachts sind Sie hier in dem kleinen Raum und atmen und… naja, pupsen vielleicht auch mal…” Die Erklärung lässt er nicht gelten.
Ich war schon einmal hier im letzten Jahr, da hatte er drei Tage im Auto gewohnt, weil er sich nicht mehr in die Wohnung traute. Das Problem ist, dass er (noch) nicht zu überzeugen ist, dass seine Ängste irrational und die Luft gut ist. Noch einmal. versuchen wir, ihm respektvoll aber deutlich zu sagen, dass nur er das Gefühl hat, vergiftet zu werden, dass man ihm da aber sicher bei helfen kann und dass er auch nicht der Einzige mit solchen Wahrnehmungen ist. Er will das nicht hören und auch niemandem außer uns von seinem Problem berichten.
Seit ich das letztes Mal hier war hat der Leidensdruck zugenommen. Damals war nur eine Ecke im Wohnzimmer abgeklebt. Inzwischen sind Wohnzimmer und Küche nicht mehr nutzbar und im Bad ist alles mit Malerfolie behangen. Die Tage und Nächte, die der arme Kerl im Auto verbringt, dürften nach und nach mehr werden.
Immerhin scheint ihn die Tatsache, dass die Polizei nun die Luft samt Messgerät und Hausflur inspiziert hat, ein wenig zu beruhigen.
Wir verabschieden uns höflich und gehen zum Auto zurück. Für den Praktikanten sind solche Gespräche noch neu und es fällt ihm sichtlich schwer, den Mann darauf hinzuweisen, dass er einen Arzt und nicht die Polizei braucht. Man möchte ja auch niemandem auf den Schlips treten und wer will schon hören, dass er sich Dinge nur einbildet?!
„Hier konnten wir irgendwie nicht helfen“ melden wir der Leitstelle zurück: „Aber wir schreiben einen Bericht in der Hoffnung, der Sozialpsychiatrische Dienst hat dann ein besseres Händchen“.
Ob das der Fall ist stellt sich nur raus, wenn ich noch einmal einen Einsatz hier habe. Ansonsten, und das wünsche ich dem Mann, wird die Polizei von seiner Luftqualität vorerst nichts mehr hören.