Königswinter an einem Samstag. Langsam füllt sich der Schotterparkplatz, auf dem Glo den Brummi rückwärts in eine Parklücke rangiert. Alle hier haben dasselbe Ziel wie wir: rauf auf den Drachenfels.
Als ich mich heute morgen auf den Weg Richtung Rhein gemacht habe, quetschte die Sonne sich noch mühevoll durch eine Wolkendecke. Inzwischen schiebt der kräftige Wind die Wolken mehr und mehr beiseite. Dazwischen leuchtet der Himmel blau. Viel zu selten war das so, in den letzten Wochen. Und umso mehr freuen wir uns, ausgerechnet heute einen Ausflug machen zu dürfen.
Glo kämpft noch gegen den Parkscheinautomaten, als ich den Hund anleine und Komoot starte. Dann latschen wir los. „Ab jetzt nur bergauf…“ zuckt Glo mit den Schultern, als wir die ersten Meter hinter uns bringen: “…aber: lohnt sich. Versprochen!” Na, dann will ich das mal glauben.
Eselsweg heißt die Straße, die wir mit ziemlich kleinen Schritten unter uns durch schieben. Vor ziemlich genau 200 Jahren kamen geschäftstüchtige Anwohner auf die Idee, nicht nur wie bisher Steine aus den Steinbrüchen sondern fortan auch Besucher auf dem Rücken von Eseln zu transportieren. In Anbetracht der doch ganz ansehnlichen Steigung sicher eine ziemlich gewinnbringende Idee. Ich überlege kurz, wie viele Esel ich mieten müsste, um mein Gewicht Richtung Aussichtspunkt schöckeln zu lassen, ohne den Tierschutz am Hals zu haben.
Tatsächlich gibt es, so verrät mir Wikipedia, auch heute noch einen Esel…äh…„vermieter“. Im Gegesatz zu früher werden aber nur noch Kinder bis 40 Kilo bergan geeselet. Und das auch nur zu gewissen Eselsaisonzeiten. Im Februar jedenfalls sind keine Esel anwesend. Vermutlich noch im Winterschlaf. Oder in der Wartung.
Hätten wir trotzdem keine Lust mehr auf Aufstieg, gäbe es auch bei Überschreitung der Eseltraglast eine Lösung für Glo und mich. Eine Zahnradbahn schlängelt sich, nicht weniger niedlich als mancher Esel vermutlich, am Hang entlang zum Drachenfels. Saison hat sie auch. Wir entscheiden uns trotzdem zu laufen.
Auf den ersten Metern passieren wir allerlei Verkaufsbuden, die im Sommer sicher tolle Quengelgelegenheiten für den Berg hoch nörgelnde Kinder bieten. Eine Art Kiosk, der auch jetzt im Februar schon mit vielen bunten Lollis auf sich aufmerksam macht, einen Imkerstand, der alles anbietet, was die örtlichen Bienen so abwerfen. Auch bis zum ersten Biergarten ist es nicht weit. Hätten wir heute 20°C mehr – ich bin nicht sicher, ob ich mir nicht auch schon das erste kühle Getränk bei Glo erquengelt hätte. Immerhin sind wir schon locker 15 Minuten unterwegs…
Auch Glo wirft das Thema Verpflegung auf, verspricht aber, dass es nachher oben einen Imbiss und einen Kiosk gibt. Sehr gut. Die Latscherei gewinnt an Sinnhaftigkeit.
Etwa nach der Hälfte des Weges treffen wir in Höhe des Schloss Drachenburg zum ersten Mal seit der Talstation wieder auf Drachenfelsbahn. Seit 1883 kann man sich bequem von Königswinter City hier hoch kutschieren lassen. Erst seit 1884 allerdings schaut man dann auf halber Strecke wie wir auf Schloss Drachenburg. Wikipedia sagt, dass ein pariser Börsenspekulant mit bonner Wurzeln die richtige Mischung aus Geld, Selbstbewusstsein und Lust auf Historismus hatte, sich dieses wirklich imposante Schloss an diese recht prominente Stelle bauen zu lassen. Falls ihr jetzt überlegt, wie ihr an die Kohle für ähnliche Projekte kommt: der Bauherr damals hatte unter anderem in Aktien für den Sues- und den Panamakanal investiert. Damals war aber die Ever Given da auch noch kein Thema.
Heute dient die nicht gerade dezente Hütte unter anderem als Kulisse für die XXL- Folgen von Bares für Rares. Solltet ihr auf dem Speicher noch irgendeinen ollen Prüjel finden, den ihr verhökern wollt und der mit achzisch Eujro juut bezahlt is, denkt dran: behaltet de Nerve!
Im Moment hat die Anlage geschlossen. Glo und ich bleiben also Zaungäste und haben keine Ausrede, uns länger vor der zweiten Hälfte des Aufstiegs zu drücken.
Wir tauschen den asphaltierten Weg gegen den Wald, was nicht nur den Hund freut. Die Ruine auf dem Drachenfels kommt auch endlich in Sicht, was dem Hund allerdings relativ egal zu sein scheint. Links von uns werden die Felswände steiler. Glo erzählt, dass die Wege zur Ruine wegen Steinschlag fast zwei Jahre gesperrt waren. Wenn ich mir die Brocken, die am Wegesrand liegen, so ansehe, bin ich ganz froh über die erneuerten Sicherungsnetze und Monsterschrauben. Nicht auszudenken, wenn so n Trümmer hier runter kullert, während an einem sonnigen Wochenende Massen an Touris aus aller über die Waldwege schnaufen.
Glo und ich schnaufen erfreulich wenig, haben aber auch beschlossen heute nicht in Eile zu sein. Erstens ist der Weg das Ziel, zweitens haben wir keine Termine und drittens sieht man mehr von der Strecke, wenn man öfter mal anhält. Ab und an kann man inzwischen einen Blick auf den Rhein in Richtung Köln erhaschen. Auch den Dom kann man erahnen, wenn man weiß, dass er da ist. Wie muss sich das für die Arbeiter aus dem Steinbruch damals wohl früher angefühlt haben, den Dom am Horizont zu erkennen, gebaut größtenteils aus den Steinen, den sie mit ihren Eseln aus dem Steinbruch vom Drachenfels runter zum Rhein schlörrten? Schon praktisch, so eine Wasserstraße, die vom Steinbruch direkt bis an die Baustelle führt. Und das auch noch flußabwärts.
Auf den letzten Metern entlang der imposanten Felswand werden die Wege voller. Die Ausflügler sprechen alle möglichen Sprachen. Ich erkenne Englisch, Französisch, höre einen Niederländer und sogar einige Japaner. Nicht nur die Nähe zur ehemaligen Hauptstadt dürfte dazu geführt haben, dass dieser Ort es in wohl jeden Reiseführer zur Region geschafft hat.
Noch eine letzte Kurve, dann verlassen wir den Wald und stapfen ein paar Stufen zur Aussichtsplattform hoch. Nun, ohne störende Bäume, ist er da, dieser Blick. Und ich verstehe sie sofort alle. Den Reiseführer, die Touristen, den pariser Börsenspekulanten, den Eselvermieter und Zahnradbahnerfinder. Man will hier hoch. Man will das sehen.
So stehen wir da. Und gucken. Und sind verzaubert. Rhein, Siebengebirge, noch mehr Rhein, da hinten, ganz klein, aber gut erkennbar auch Köln mitsamt Dom und Fernsehturm. Die Wolken sind inzwischen komplett aufgelockert als hätten sie sich hübsch gemacht für unsere Fotos.
Es dauert einen Moment, bis wir uns von dem Ausblick trennen mögen. Aber noch waren wir nicht ganz oben am Bergfried der Burgruine. Die Pfade werden schmaler und auch hier tummeln sich einige Wanderer. Bis wir einen der begehrten Plätze mit der besten Aussicht ergattern dauert es einen Augenblick. Der Wind sorgt für eine gute Aussichtswilligenfluktuation. Auch uns weht er so um die warmgelaufenen Ohren, dass wir nach einigen Minuten schon wieder den Abstieg einläuten.
Vorbei an der großen Aussichtsplattform und der Bergstation der Drachenfelsbahn entscheiden wir uns für einen anderen Rückweg über einen Hohlweg ins Tal. Obwohl die Bäume noch kahl sind und das Wetter wirklich fantastisch ist kommt hier keine Sonne hin. Die Hundefüße platschen laut durch den Matsch und auch unsere Wanderschuhe werden heute Abend eine Wäsche bitter nötig haben. Auf einem Esel wäre das nicht passiert.
Zurück in Königswinter suchen wir an der Promenade unter Bäumen einen Snack, bevor wir zur Insel Grafenwerth weiterziehen. Hier haben wir aus dem Park von unten einen tollen Blick auf den Drachenfels. So nah wie hier war ich dem Rhein lange nicht. Auf dem Weg zur nördlichen Spitze der kleinen Insel überspült er den Pfad sogar, wenn ein Schiff vorbeikommt. Und so friedlich Wasser auch sonst scheinen mag, so gern ich den vorbeifahrenden Schiffen zusehe – richtig geheuer ist mir dieser gewaltige Fluss gerade irgendwie nicht. Dort, wo das Wasser über die Buhnen rauscht erahnt man, mit welcher Wucht es gierig alles mitreißen will, was es erwischen kann. Zum Glück muss ich dem Hund nicht zweimal sagen, dass er im Wasser nichts verloren hat. Badetag ist bei der Landratte frühestens im April. Und dann auch nur gegen Bestechung.
Langsam wird es kalt. Die Sonne verschwindet hinter dem Rolandsbogen auf der anderen Rheinseite und bevor es dunkel wird, machen Glo und ich uns auf den Rückweg zum Brummi.
Satt und sehr zufrieden schalten wir nach knapp sechs Stunden an der frischen Luft mit letzter Kraft die Sitzheizung ein.
Danke, Glo, fürs Ausdenken der Runde, deine Gastfreundschaft und dafür, dass du ausgerechnet heute zwischen den grauen Regentagen so frühlingshaftes Wetter organisiert hast.
Ich habe am Morgen bei Komoot auf “aufzeichnen” gedrückt, ohne irgendwas über die Strecke, die Höhenmeter oder die Gegend gelesen zu haben. Ich konnte mich beim Latschen zurücklehnen, weil ich wusste: das wird gut. So viel Gelassenheit gelingt mir selten. Danke auch dafür!
Und: warum diese Burg Drachenschloss heißt, oder umgekehrt, das ergründen wir dann ein anderes Mal.