Die Apps hatten Recht. Und ich hatte Recht. Der Sonntag ist diesig und das Wetter deshalb leider auch heute wieder das Thema, mit dem ich in den Tag starte. Just als ich das Rollo am Bett beiseite schiebe und den Blick am Fahrradträger vorbei nach draußen wage, nieseln die ersten feinen Regentropfen ans Heckfenster des Brummis. Als hätten sie auf mich gewartet um mir zu sagen: “Du wolltest heute Schweriner Sights seen? Aha. Schmink’s dir ab.”
Ich bin entsprechend genervt, denn genau das wäre der Plan für den Sonntag gewesen, Schweriner Sights zu seen. Vorgewarnt zwar, dass das kein Tagesprogramm füllen könnte, aber ein bisschen mehr als: “Da, guck: Schloss! Und guck, daneben: Park. Und See. Und noch n See und noch n See und…” wäre ja bei aller Schweriner Bescheidenheit wohl doch dabei rumgekommen. Also, soweit eine Stadt, die sich mitten ins Zentrum ein goldenes Schloss baut, auf eine Insel, umgeben von einem riesigen Park, und von diesem Schloss aus dann ein Bundesland regiert, überhaupt so etwas wie “Bescheidenheit” kennt.
Diese Stadt ist wie dieses nervige kleine Kind, das wir alle mal waren, das einen Purzelbaum kann und den dann den lieben langen Tag jedem und jeder vormacht – ob man den Stunt nun sehen mag, oder nicht. Und gerade wenn es dem Zuschauer nicht mehr gelingt, wenigstens ein bisschen begeistert zu tun, über den 27. Kurselkopp, da hat sie schon Handstand gelernt, damit man bloß noch was zu staunen hat.
“Schnipsende Streberin” habe ich eine Lesebühne Schwerin vor Jahren mal nennen hören, und seit ich 2009 das erste Mal in der Fußgängerzone einigermaßen unvorbereitet um die entscheidende Ecke bog und vor mir plötzlich dieses riesige Schloss auftauchte, finde ich sowohl “schnipsend” als auch “Streberin” ziemlich passend.
Heute allerdings, wo der Himmel grau ist und das Fahrrad mir mit dem Hinterreifen diesen fiesen matschigen Streifen auf den Rücken wirft, wo der Hund ein bisschen nach nassem Teppich riecht und ich vom Wetter genervt das Frühstück bockig habe ausfallen lassen, heute hat dann wohl auch diese Streberin mal einen schlechten Tag. Soll sie mal sehen, wie das ist, als ganz normale Stadt. Immer nur glänzen, das konnte damals noch nicht mal der Streber in meiner Klasse, und der konnte wirklich fast alles. Bis auf Sport, da hatte er immer ne vier.
Siehste, Schwerin: so viel besser bist du nämlich gar nicht, als die anderen Städte, brummle ich also in mich hinein, auf dem Radweg am See entlang, dessen alleeartige Bepflanzung mich von oben halbwegs trocken hält. Und allein die Tatsache, dass man hier noch nicht mal bei Regen ordentlich nass wird, finde ich falsch.
Ich radele an einem Strand vorbei, beobachte die Möwen, die auf einem Bein im Sand stehen und freue mich, nicht als Einzige ein bisschen kalte Füße zu haben. Sisse, Schwerin: Regen hasse, dat bisse, nicht immer nur wie so ne strahlende Klassenbeste von den Touristen fotografieren lassen. Das hier ist das wahre Leben. Es nieselt. Die Möwen frieren. Die Streberin hat heute Sport.
Ein Stück weiter findet an dem Strand ein Kinderfest statt. Der Crêpes- Stand ist genauso verwaist wie die Hüpfburg. Wenige Menschen radeln vorbei. Am Eingang zum Gelände diskutiert ein Rentner auf völlig verlorenem Posten über die 3G- Einlasskontrolle. Eine ältere Dame mit überdimensionalem Schirm wischt mit einem viel zu kleinen Taschentuch eine Bank trocken. Heute haben alle mit sich und den Umständen zu kämpfen. Aber eine gewisse Bodenständigkeit steht auch einer Landeshauptstadt mit sieben Seen mal ganz gut zu Gesicht.
Mit einem relativ ernsten Podcast auf den Ohren strampele ich die letzten Kilometer Richtung Stadtkern. Es geht irgendwie um einen Crystal Meth abhängigen Mann und seine Lebensgeschichte. Eigentlich spannend. Aber: nagelt mich jetzt bitte nicht auf Details zu dem Podcast fest, denn diese miese, wirklich bei jedem Wetter schnipsende Streberin mit ihrem blöden Schloss auf ihrer viel zu kleinen Insel in diesem lächerlich spießigen Park, die hat meine Aufmerksamkeit dann doch wieder irgendwie komplett gekriegt.
Und den Podcast, den habe ich dann einfach auf dem Rückweg weitergehört.