Normandie 1 – „Là bas!“

Gestern erst hatte ein Kumpel bei Insta, wohl zwecks Recherche für ein zu schreibendes Comedyprogramm, in die Runde gefragt, was man denn täte, um sich kurz wieder wie ein Kind zu fühlen. Mir war spontan eingefallen wie ich letztens beim Gassi eine Glasmurmel gefunden und mich wie das glücklichste Kind der Nachbarschaft gefühlt hatte. Sofort hatte ich die Murmel auf Kitschen untersucht und die hellgrüne Farbe bewundert. An der nächsten Ecke hatte ich dann beschlossen, sie am Wegesrand wieder abzulegen, damit sich das nächste Kind über diesen Schatz freuen kann. Und weil ich vielleicht auch gerade gar keine Glasmurmel brauchte und auch ohne reich beschenkt war. 

Über was denkt ihr denn so nach, wenn ihr über die Autobahn fahrt, stundenlang? Ich jedenfalls dachte eben noch an die Sache mit der Murmel, muss jetzt aber mal für kleine Glückspilze und steuere einen Rastplatz an, irgendwo bei Amiens.

“Là bas!” – Der mopsige Mann hinter der Panzerglasscheibe winkt wild mit dem Arm in Richtung des Kaffeeautomaten rechts von mir. Ich soll da also rüber gehen: “À droite! ÀHH DROOOITE!” gestikuliert er, im zweiten Anlauf schon erschreckend laut. Und ich bin ein bisschen froh, dass der garstige Monsieur sicher hinter der Panzerglasscheibe verstaut ist. Dabei habe ich eigentlich nur freundlich gefragt, ob er vielleicht Englisch kann. Kann er nicht. Oder will er nicht. Dass der Kaffeeautomat zu meiner Linken nicht funktioniert hat er offenbar trotzdem verstanden. Ob er denkt, dass Schreien hilft?! Ich hätte ja vorgeschlagen einfach Milch nachzufüllen. Das jedenfalls steht im Display. Habe allerdings gerade echt keine Lust, dem Mann, der mich entweder für schwerhörig oder vollkommen bescheuert hält, das Problem genauer zu erläutern. Ich gehe schulterzuckend à droite und ziehe mir da einen Latte Macchiato. Dieser Automat hat nämlich noch Milch.

Mit leicht verbrannter Zunge (dass es unter dem Milchschaum ungefähr 3000°C hat werde ich wohl nie lernen) und leicht ärgerlich über den unfreundlichen Fatzke gehe ich, den Kaffee in der Hand, zum Brummi zurück. Dabei grummle ich etwas wie: „Typisch Franzosen. Berliner Taxifahrer ihre Mütter…“

“Und Rastplätze können die auch nicht” zuckt Glo mit den Schultern. Angesichts der verschlungenen Pfade, die man rechts und links von der Autobahn nehmen muss, um nach viermal abbiegen einen Parkplatz zu erreichen, stimme ich ihr zu. Aber Autobahn, das können sie immerhin – die Sache mit der Maut scheint, so umstritten sie auch ist, hier zu funktionieren. Die Fahrbahn ist in einem erstaunlich guten Zustand, auf den Rastplätzen sammeln fleißige Mitarbeiter Dinge auf, es gibt moderne Schilderbrücken und wir sind nicht einer richtigen Baustelle begegnet. Zusammen mit dem Tempolimit von 130 kann man ziemlich entspannt reisen, zumindest an einem Samstag, mit Abstandstempomat und wenig Verkehr.

Um sechs Uhr heute morgen hat der kleine Brummi in der Nähe von Bonn die Fahrräder huckepack genommen, dann sind wir immer in Richtung Westen über die A4 rüber nach Belgien und weiter nach Frankreich gezockelt. Die Tatsache, dass wir uns grob auf der Höhe von Koblenz befinden macht, dass die Landschaft hier funktioniert wie etwa auf der Höhe von Koblenz. Nur, dass wir in fünf Fahrradminuten eine beeindruckende Steilküste erreichen. Die habe ich so in Koblenz bisher noch nicht gesehen. Bin da allerdings auch noch nie Fahrrad gefahren.

So staunen wir zwar immer wieder über die weiten, sanften Hügel und die gelben Rapsfelder, fühlen uns aber nicht nach 500km westwärts. Hätten die Franzosen hier nicht seit Jahren eine Vorliebe für kleinkariertes , grün- gelbes Fachwerk, Crêpes und Pains au chocolat ausgelebt, ich hätte Dieppe kaum von Mülheim- Kärlich unterscheiden können. 

Pünktlich zum Ende der Mittagsruhe (da kennt der Camper rund um die Welt keine Ausnahmen) rangiere ich den Brummi etwas zu ungelenk rückwärts auf Platz 93 des Camping Le Marqueval in Hautot-sur-Mer, dann rollen wir die Markise aus und genießen den Blick auf den kleinen See, in dessen Mitte sich eine Gruppe Ziegen eine Halbinsel mit einer Horde Laufenten teilt. In der Zeit zwischen Ankunft und Ende der Mittagspause haben wir uns auf dem Platz ein wenig die Beine vertreten und eine Lieblingsparzelle ausgekundschaftet. Dann haben wir auf den beiden platzeigenen Hüpfburgen eine kleine Siesta gehalten. Also: Ich habe Siesta gehalten. Glo ist gehüpft. Dann haben wir uns beide beömmelt und es gerade pünktlich um zwei zur Anmeldung geschafft. 

Ziemlich perfekt ist dieser Start in den Urlaub. Und ziemlich perfekt ist auch unsere erste Runde mit den Fahrrädern an der Küste entlang in Richtung Downtown Dieppe. Wir treffen auf steile Kreidefelsen, auf Möwen, die uns anschreien, als hätte ihr Kaffeeautomat keine Milch und auf eine Burg, die aussieht wie hier alle Burgen aussehen. Steinig. Und burgig. Und, naja, alt. Durch die Festung schieben wir die E-Bikes hinunter in Richtung Wasserlinie. Als die Wege steiler werden und absehbar ist, dass es Glo schwerfallen wird, das schwere Fahrrad die Treppe herunter zu tragen, eilt von hinten ein freundlicher Mann mittleren Alters zur Hilfe. Der Franzose trällert, dass Glo das Fahrrad einfach stehen lassen möge. Er trüge es die Treppe runter, kein Problem.

Und so muss ich schon an Tag eins zugeben, dass vielleicht doch nicht alle Franzosen im Herzen Berliner Taxifahrer sind.

Als es Abend wird stellen wir dem Brummi endlich den Grill zur Seite. Es gibt Thüringer Rostbratwurst, italienischen Rohkostsalat und Merguez. Und Zeit, den Tag noch einmal Paroli laufen zu lassen.

Uns gegenüber, am anderen Ufer des Ententeichs, surren leise die Motoren zweier Hüpfburgen. Und falls ich ausnahmsweise keine Murmel finden sollte, dann weiß ich, was ich morgen machen kann, um meinem giggelnden fünfjährigen Ich noch mal relativ nah zu kommen.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: