„Äh… german!“ antworte ich der jungen Frau am Ticketverkauf auf ihre überraschende Frage nach meiner Nationalität und meine eh schon gedrückte Stimmung erreicht ihren zwischenzeitlichen Tiefpunkt. Im nächsten Augenblick frage ich mich, ob und wie ich das weiterhin extrem freundliche Lächeln der Verkäuferin interpretieren soll, und ob: „Äh: Swiss!“ eine okaye Notlüge gewesen wäre.
Vorhin sind wir aus Stella Plage weiter in Richtung Norden gefahren. Übernachten wollen wir später in Oostende hinter der belgischen Grenze. Aber ein Zwischenstopp war mir wichtig. Und zwar dieser hier.
Deshalb stehe ich jetzt, irgendwas zwischen bedrückt, verschämt und neugierig, am Eingang des „Musée Dunkerque 1940 – Opération Dynamo“. Ich möchte verstehen, was hier passiert ist, begreifen, denke ich, wäre zu viel verlangt. Falls euch die Weltkriegsgeschichte zur Evakuierung von etwa 340.000 alliierten Soldaten aus Dunkerque bzw. auf Deutsch Dünkirchen bisher nichts sagt verlinke ich euch hier den Wikipedia Artikel, bevor ich mich selbst auf das schmale Brett wage, euch hier historische Informationen korrekt zusammenfassen zu wollen.
Etwa 340.000 alliierte Soldaten wurden damals aus Dünkirchen in einer Hauruckaktion über den Ärmelkanal unter Beschuss und Bombardemant der Wehrmacht nach England evakuiert. Und von genau dieser „Opération Dynamo“ handelt die Ausstellung in Dünkirchen, durch die Glo und ich nun langsam von Exponat zu Exponat gehen. Wir sehen Ausrüstung, wie sie damals von den Alliierten getragen wurde, Fahrzeuge und Funde, die Dünkirchens weite Strände erst viele Jahre nach Weltkriegsende wieder freigaben. 340.000 Mann – immer wieder versuche ich mir diese unglaublich große Zahl vorzustellen. Ich sehe Fotografien der langen Schlangen, der vollgequetschen Boote und Schiffe, und der zurückgelassenen Fahrzeuge und Mannausstattung. Schwer zu erfassen, so eine große Menge Menschen, die in wenigen Tagen mit allem, was an Booten zur Verfügung stand, über den Kanal gebracht wurden.
Nach gut einer Stunde verlassen wir das Museum. So richtig begriffen habe ich nicht, was hier passiert ist, und weiß auch noch immer nicht so recht, was ich eigentlich empfinde, wenn mich an Orten wie diesem jemand nach meiner Nationalität fragt. Am ehesten trifft es wohl, dass ich mich auf eine ganz seltsame Art verpflichtet fühle, die Chance zu nutzen, solche Museen zu besuchen. Um an die Opfer des Weltkriegs zu erinnern und ein wenig besser nachvollziehen zu können, wie man uns Deutsche der Nachkriegsgenerationen, die für den Krieg und seine Folgen naturgemäß keine Verantwortung tragen, heute sieht.
Kritisch, zuweilen. Und nicht nur an Orten wie hier habe ich manchmal den Eindruck, auf eine ganz unbestimmte Weise beäugt zu werden, ob mir denn wohl klar ist, dass ich sehr wohl eine Verantwortung trage. Für die Zukunft.
Auf dem Weg in die Stadt lasse ich diesen Gedanken kurz sacken. Ich habe mich in Frankreich wohl und willkommen gefühlt. Die Menschen sind nett, besonders wenn sie merken, dass man sich zumindest bemüht ein wenig Französisch zu sprechen. Und sie sind, das sieht man an vielen Stellen im Kleinen, stolze Franzosen.
Ein Gefühl, was uns Deutschen auch viele Jahre nach Kriegsende noch immer fremd ist, wenn nicht gerade Jamal Musiala und Thomas Müller eine schöne Kombination im gegnerischen Sechzehner gelingt. Und ein Gefühl, auf dass ich auch wirklich gut verzichten kann. Nicht nur, aber auch, an Tagen wie heute. Dazu bin ich einfach zu schon viel zu sehr Europäerin, oder Ruhrpottlerin, von mir aus. Mit Staatsgrenzen hat mein Patriotismus jedenfalls nichts zu tun.
Schön, dass das in Europa auch in Zeiten knapper Stichwahlen noch vielen so geht. Wir wollen nämlich jetzt weiter, über die Grenze nach Oostende. Dass das in Belgien ist merkt man vermutlich an der Qualität der Fritten und den guten Radwegen. Vielleicht wäre es einfach an der Zeit, sich bei diesen wichtigen Themen auf europäischer Ebene auf gewisse Qualitätsstandards zu einigen.
Ich bin dringend für eine europäische Frikandelverordnung. Oh, oder… lasst uns evtl. doch mit einer einheitlichen Radinfrastruktur anfangen.




