Als ich an diesem Morgen wach werde hat die Sonne das Dachbett des Brummis schon so sehr aufgeheizt, dass ich hektisch den Schlafsack abstreife und die Reißverschlüsse des Stoffbalgs öffne. Dass die Temperatur schlagartig sinkt führt dazu, dass ich mich nun sehr schwer zum Aufstehen aufraffen kann. Hier oben, im Dachbett, ist die Welt noch in Ordnung. Ich muss nichts tun, nichts auf- oder wegräumen, mich nicht mit kniffelnden Nachbarn, schmutzigem Geschirr von gestern oder der Reiseplanung beschäftigen. Ich kann einfach hier liegen und den Bäumen neben dem Bulli dabei zusehen, wie sie dem böigen Wind die ersten Blätter mitgeben, oder die Drossel beobachten, die zwischen den Blättern im Boden nach Würmern wühlt.
Ich gebe mich der Laune hin und nehme mir vor, um 10.00 Uhr mit dem gepackten Auto an der Rezeption zu stehen, um auszuchecken. Wenn ich Frühstück und Gassi auf unterwegs verlege, das Geschirr Zuhause in die Spülmaschine stecke und vor Abfahrt nur schnell Dusche, kann ich bis 09.20 Uhr schmollend liegenbleiben. So lange wie noch nie in diesem Urlaub. Aber ich habe auch zum ersten Mal diese Art Laune.
Um 09.30 Uhr habe ich das Bett geräumt und hochgeklappt, die Wäsche lieblos in den Wäschesack gestopft, den Hund gefüttert und sogar schon den Tisch in der Bullitür verstaut. Müde und genervt, dass ich noch immer nicht weiß, ob ich gleich nach Hause fahre oder irgendwo einen Zwischenstopp mache, latsche ich zum Sanitärgebäude, löse danach das E-Bike vom Baum, leere den Wasserkanister und rolle die Markise ein. Warum mache ich mir immer diesen Druck, die absolut richtige Entscheidung treffen zu müssen? Warum muss ich bis ins Kleinste zerdenken, wo ich nachher Gassi gehe, wo ich parke und übernachte? Wie schlecht ginge es mir dööfstenfalls, wenn ich „falsch“ entscheide. Und woran merke ich überhaupt ob ich falsch entschieden hätte?
Als der liegengebliebene Krimskrams verstaut ist schaue ich auf mein Handy. Aha?! Eine Nachricht eines Kollegen einer anderen Dienststelle, mit dem ich zuvor im letzten August zu tun hatte. Er will wissen, ob ich wach bin. Na super, ich hab schlechte Laune, Urlaub und wirklich gar keine Lust, jetzt auch noch von irgendwelchen dienstlichen Anschissen eingeholt zu werden. Ich überlege kurz, die Nachricht vorerst liegen zu lassen, bin dann aber doch neugierig. Ich schreibe kurz angebunden: „Ja“ und drücke auf senden. Die Frage ist damit ausreichend und wahrheitsgemäß beantwortet. Da mir zum Glück doch schnell klar wird, dass M. nichts für meine Laune kann, schicke ich noch ein: „Wat gibbet?“ hinterher. Ich möchte wenigstens so tun, als würde mich der sicher bevorstehende Anschiss interessieren. Was sonst sollte er von mir wollen…
Im nächsten Augenblick klingelt das Handy. Klingeln lassen kann ich das jetzt schlecht. M. weiß ja, dass ich das Telefon vor 10 Sekunden noch in der Hand hatte. Also gut, gehe ich wohl dran. M. Ist, das höre ich gleich, auf der Autobahn unterwegs und überhaupt nicht in Anschisslaune. Ohne irgendwelche Einleitungen plappert er los, dass er gerade auf dem Rückweg aus Rügen sei, die Fahrt nach NRW aber gern in zwei Etappen machen wolle und überlegt habe, in Ratzeburg einen Stellplatz zu nehmen. Ob ich da wohl einen Tipp für ihn hätte.
Es kostet mich einige Mühe, von Anschissabwehr auf Campingkumpelei zu wechseln. „Ratzeburg, keine Ahnung. Da war ich glaube ich mal Eis essen, aber mit dem Fahrrad, wo stand ich denn da noch mal…“ – es will mir nicht recht einfallen. Wenn uns Polizisten allerdings eine Sache verbindet, dann, solche Dinge nicht vom Problem sondern von der Lösung her zu denken. Wenn ich nicht weiß, wie Plan A funktioniert, muss eben spontan ein gültiger Plan B her. In Ratzeburg kann ich nichts empfehlen, aber… Ich gucke mich auf meiner mühevoll geräumten Parzelle um, überlege einen sehr kurzen Augenblick, ob ich das jetzt wirklich machen soll und schlage M vor, dass er doch statt Ratzeburg einfach Schwerin in sein Navi eingeben und seinen Camper neben meinen stellen könnte. Noch während ich es ausspreche bin ich unsicher, ob ich mit der aktuellen Laune überhaupt eine okaye Nachbarin abgebe. Aber dann muss ich mich halt mal einkriegen. Außerdem wäre mit dieser Idee die Reiseplanungsproblematik um mindesten 24 Stunden nach hinten verschoben.
Auch M. scheint zu überlegen, ob er Lust auf Gesellschaft hat. Er konnte nicht ahnen, dass er halbwegs in derselben Region unterwegs ist wie ich. Bis vor 30 Sekunden wusste er noch nciht einmal, dass ich überhaupt gerade unterwegs bin. Ich höre sein Zögern und kann es gut nachvollziehen. „Ach weißte, warum eigentlich nicht?! Dann bis gleich. Ich bin in einer Stunde bei dir!“
Eine Stunde, um die Verdunklung wieder in die Fenster zu klemmen, die Markise auszukurbeln und Gassi zu gehen. Strom, finde ich, muss ich bis morgen nicht haben. Das Kabel aus dem Heckauszug zu holen erscheint mir die Mühe nicht wert. Ich hebe das Fahrrad vom Träger, kette es an den Baum, lebe damit, dass die Nachbarn mich jetzt für genauso beschmiert halten wie ich sie und setze mich mit einem Joghurt in die Schiebetür. Tisch und Stuhl habe ich noch nicht wieder rausgeholt.
Als M eine gute Stunde später seinen Kastenwagen neben mir einparkt bin ich froh, dass dieser Tag so kommt, wie er kommt. Mit guten Gesprächen, Gassi mit M und dessen Hund am See, mit einem Softeis-Erdbeerbecher mit Soße und Krokant und einem wirklich guten Essen beim Griechen gegenüber, zu dem ich eh schon lange mal wollte.
Manchmal denke ich ja, dass Dinge für was gut sind. Und wenn das so ist, dann war dieser Tag wohl ein freundlicher Hinweis, dass es sich gar nicht lohnt, einen Abend und einen Morgen griesgrämig damit zu verbringen, zu überlege ob ich an die Elbe, in die Heide oder nach Hause fahre. Weil vielleicht gar nicht eine Option cool und die anderen doof sein werden. Weil man vielleicht auch manchmal die Wahl zwischen mehreren tollen Ideen hat. Und weil das Motto öfter mal sein dürfte: Einfach ausprobieren – könnte ja gut werden.
Danke, M, für den Anruf zur absolut passendsten Zeit, für Gassi, Griechen und Gespräche, für‘s Tag retten, ohne es zu wissen.



